Clara lebt uns allen vor, wie wir sein sollten. Sie ist die gutgelaunte Ärztin, sie ist das gesunde Lächeln, sie ist die Mutter mit den straffen Brüsten und die beste Freundin mit dem klugen Rat und der guten Haut. Clara ist Werbemodell und hat damit nicht nur den Traumberuf aller kleinen Mädchen zwischen zehn und fünfunddreißig, sie muss auch nicht einmal hungern oder Sport treiben – sie muss bloß so bleiben wie sie ist.
Clara hat nicht studiert, bekommt aber sagenhafte Tagesgagen. Die bekommt sie allerdings nicht allzu häufig, denn wenn man einmal in einem Persil-Spot in die Köpfe der Menschen gehämmert wird, dann gewinnt man das Casting vom Weißen Riesen eben nicht, überhaupt ist das Gesicht für die Laufzeit recht verbrannt, so dass Clara in der Zeit eben vom Titelblatt der Apotheken-Rundschau lächelt und wegen der unzureichenden Photoshopkünste des Layouters fast so alt aussieht wie sie ist. Diese Jobschwankungen bringen mit sich, dass Clara sehr genau rechnen muss, wie lange sie mit einer Gage haushalten kann. Nur ist Rechnen gar nicht so leicht, wenn man wie Clara immer unterwegs ist, die Briefe vom Finanzamt zu spät öffnet und die vom Vermieter ebenfalls und man dann vergisst, die Mahngebühren zu bezahlen und deswegen irgendwann der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht, den man nicht einmal mit dem ambitioniertesten Colgatecastinglächeln wegcharmiert bekommt.
Clara ist immer Pleite, was ein wenig an ihr liegt und ein wenig am deutschen Steuersystem, das selbst Steuerberater nicht verstehen, weshalb Clara Steuerschulden mit sich herumschleppt, ohne dass sie sich daran erinnern könnte, jemals so viel verdient zu haben. Claras Zukunftsperspektive in dem Job ist nicht einmal mau. Sie bekommt die Werbungen, in denen frivole Studentinnen einander orgasmisch Chips zuwerfen schon seit einiger Zeit nicht mehr und bald wird sie keine jungen Mütter, die enthusiastisch Tütennudeln zubereiten, mehr darstellen können. Dann wartet irgendwo in ferner Zukunft die fitnessgestählte Oma, die japanische Heilkräuter einwirft, aber bis dahin muss ihr irgendetwas eingefallen sein.
Clara ist unser aller schlechtes Gewissen, ihretwegen lassen sich junge Mütter die Brüste straffen und junge Anwälte fragen sich, was eigentlich mit den Zähnen ihrer Freundin los ist. Clara möchte jeden Tag kotzen, wenn ihr beim Jeanscasting die Hosen nicht passen und ihr Freund sie anbrüllt, weil sie vergessen hat, ihn vom Flughafen abzuholen oder wenn ihr Psychotherapeut sagt, er wisse doch auch nicht und sie übermüdet und verfroren so tun muss, als würde dieses gottverdammte kalorienlose Eis ihr ein inneres Hupkonzert bescheren.