Die Eierschale war mein Freund Bart. Am Mittag des vergangenen Tages hatten wir zusammen magische Pilze gegessen. Die hatte ich in Holland besorgt, in einem Laden für Indianerbedarf. Die Pilze hatten geschmeckt wie die Mokassins eines übergewichtigen Mohikaners nach der Büffeljagd und gewirkt wie eine Zeitmaschine in Kindertage.
Wir gingen spazieren, wir freuten uns an Blumen. Blumen! So bunt, so lebendig, so wachstumsorientiert. Der Himmel hatte das Muster einer riesigen Tischdecke, die zu Ehren von Franz-Josef Strauß aufgezogen worden war. Wir lachten Tränen über den Himmel, der doch gar nicht sein konnte.
Am Strand des Rheins bewarfen wir uns mit Sand, Korn für Korn kribbelte auf der Haut, kitzelte sich in die Poritze vor und verschwand grußlos, der Rhein schwappte dazu altväterlich und grün in den Wellen vor sich hin. Unter den Bäumen am Ufer bastelten wir uns ein Déjà-vu und sprangen Seil mit unseren Synapsen.
Die Sonne ging unter und erleuchtete den Rhein und wir feierten die Sonne, starrten in ihr Feuer und waren aztekische Hohepriester, die lachten wie Kinder bei Balduin, der Sonntagsfahrer. Waren aztekische Hohepriester, die lachten wie Kinder bei Balduin, der Sonntagsfahrer, und wussten genau, dass die Spaziergänger am Rhein das seltsam fanden und die Köpfe schüttelten und wir lachten noch mehr und lauter, lachten wie ritalinresistente hyperaktive Kinder bei Balduin, der Sonntagsfahrer bis unsere Zwerchfelle barsten und wir sie mühsam wieder einsammeln mussten.
Langsam verflog die Wirkung des Psilocybins und Bart sagte: „Ich habe zuhause noch Pappen. Die sind: Noch geiler! Noch länger! Und das Beste: Du kannst ohne Ende kiffen! Noch mehr! Noch! Noch! Noch!“ Mir ging der alte Witz durch den Kopf, der die Frage aufwarf, warum man nicht aufhören kann, Schweine zu ficken. Aber ja. Länger! Geiler! Mehr! Danach war mir, nichts sprach dagegen.
Wir beamten uns in Barts Wohnung und er reichte mir ein Stückchen Löschpapier. Ich ließ es auf meiner Zunge zergehen, rauchte ein Köpfchen, Bart scratchte ein paar Funkplatten zu einem Beat zusammen und langsam bemerkte ich ein helles Sirren in meinem Kopf. Willkommen im LSD.
Ich schaute in eine Lampe, um das Erlebnis unserer privaten Sonnenwendfeier zu wiederholen. Ich war nicht mehr lichtempfindlich. Ich hielt die Lampe aus zwei Zentimeter Entfernung in meine Pupille und informierte Bart darüber, dass ich augenscheinlich ein Gott sei.
Meine Beine machten sich bemerkbar, sie wollten bewegt werden. Ich rief Katharina, eine Freundin, an und fragte nach Aktivität. Sie wollte in die hiesige Großraumdisco gehen. Das klang beschissen. Machten wir also. Bart und ich quetschten uns hinten in das winzigkleine Auto und giggelten wie verliebte Teenager.
Die Großraumdisco war der Untergang des Abendlandes, inszeniert von Pasolini an einem schlechten Tag. Vierbeinige Torwächter mit Schultermuskeln wie die Ärsche von westfälischen Lastpferden, die Haut gegerbt in tausend Solarienwintern, stachelschweinshaarig, mit korrupten Triefaugen Stempel verteilend wie römische Sklavenhändler.
Oder internationale Investoren, die ihr Geld in Fußballerbeinen waschen, aber davon konnte ich damals noch nichts ahnen.
Wir entkamen den Stemplern.
Die Insassen trugen Umlandhosen, umständliche Zwerghirne steckten in ihren Kälberschädeln. Wir dagegen waren klar wie ein Scientologe, dem Xenu höchstpersönlich den Neokortex aufgeblasen hatte. Wir kannten die Balzrituale, die die Kälber miteinander aufführten, wir kannten die Herkunft des billigen Bieres, wir hatten keine fleischlichen Bedürfnisse mehr, wir ekelten uns wohlig im Urschlamm, höhere Wesen im Horrorpornoland.
Es lief ein Lied, das damals die VIVA-Heavy-Rotation dominierte; Spring von RMB. Die Künstlichkeit, die zahnschmelzschmelzende Uninspiriertheit dieses Stücks, der böse Plan, der hinter ihm steckte, ließen unsere Ohren bluten. Ich brauchte zwirbelndes Acid, Beats, die Nervenbahnen zum Entgleisen bringen, suizidale Sequenzer, Heroinhimmel-Hi-Hats. Wir verloren uns im Plastiknebel der VIVA-Musik, zwischen polnischen Wortfetzen, türkischen Prügelangeboten, deutschen Zungenpiercingküssen und den Schulterhaaren der Torwächter, die auch die Tanzflächen vor Freudenattacken schützten. Ich war allein. Schutzlos. Unverstanden.
Als wir uns dann wiedersahen und uns in den Armen lagen, verließen wir den Ort des Grauens und atmeten draußen die frische Abgasluft der Dreibuchstabenkennzeichenautos. Dann wollten wir zurück zu Katharina. Aber wir hatten ja keine Stempel. Die nächste Stunde wälzten wir die Frage, wie wir an die Torwächter herantreten könnten ohne Stempel. Sie würden uns mit Haut und Haaren fressen und morgen würden wir uns in einer Torwächtertoilette wiederfinden, ausgekackt aus pelzigen Torwächterärschen.
A propos kacken: Bart empfahl dringend, zu kacken, solange die Wirkung noch anhielte. „Kacken auf LSD ist wie eine Geburt.“
Wir hielten ein Auto an. Die Fahrerin war eine Alienjägerin mit kahlrasiertem Schädel, der ich Meter für Meter den Weg erklärte. Dass sie behauptete, den Weg zu kennen, hinderte mich nicht in meiner Beratungsfreude.
Um fünf Uhr waren wir zuhause. Bart wiederholte eindringlich seinen Rat mit dem Kacken und empfahl mir, noch ein wenig zu zappen und dann zu schlafen. Dann war ich allein.
Das Fernsehen war unerträglich, ich konnte das Styropor aus den Kulissen heraus rieseln sehen, wenn ich die Augen schloss, sah ich neongrüne Schlieren, die mich schwindeln ließen. Ich ging zum Spiegel, knipste das Licht an; meine Pupillen bedeckten meine gesamte Iris. Ich setzte mich auf’s Klo, wartete auf die Geburt. Nichts. Ich legte mich auf’s Bett, schloss die Augen, wieder die Schlieren. Ich ging zum Spiegel, knipste das Licht an. Riesige Pupillen. Ich versuchte mich an der Geburt, legte mich wieder hin, machte den Fernseher an, das Elend der Welt kroch mir entgegen, ich schaltete ihn aus, schloss die Augen, das Grün, das ich sah, war übrigens neonfarben. Im Spiegel nichts Neues: Riesig. Fernsehen: Grauen. Klo: Keine Wehen. Mit geschlossenen Augen fuhr ich neonfarbenes Karussell, meine Pupillen wurden durch das Licht nicht kleiner. Das einzige, was ich von LSD wusste, war: Man konnte hängenbleiben. Ab wann war man hängengeblieben?
Ich nahm ein Lexikon aus dem Schrank. Lysergsäurediethylamid. L.Y.S.E.R.G.S..Ä.U.R.E.D.I.E.T.H.Y.L.A.M.I.D. LSD erzeugt einen Zustand, der einem schizophrenen Schub vergleichbar ist, sagte das Lexikon. LSD ist Schrittmacherdroge für andere harte Drogen, sagte das Lexikon. Lass die Finger davon, sagte das Lexikon. Aber die Farben, das Lachen, der kaum spürbare Rausch, die Leichtigkeit, die Klarheit, fragte ich.
Warte mal ab, sagte das Lexikon.
Platon hätte seine helle Freude an uns gehabt. Wir hatten einander verloren und als wir uns nun wiedersahen, über ein Meer von zuckenden Körpern hinweg, da war mir, als sei ich Eidotter und hätte meine Schale wieder gefunden. Und auf dem Gesicht meiner Schale sah ich dieselbe Freude. Ich wusste nicht, dass mir die längsten 22 Stunden meines Lebens noch bevor standen
Jetzt konnte mich nur noch das Blumenkind retten. Aber das Blumenkind schlief noch. Lilly, mein Blumenkind, musste mir Mut machen, ich musste beichten und Erlösung finden und sie musste mit warmer Stimme Trost spenden und einen Scherz machen und sagen, dass alles nicht so schlimm ist. Ich zählte die Minuten, die es noch dauern würde, bis es vertretbar wäre, das Blumenkind zu wecken. Das Blumenkind wohnte bei seiner Familie und Familien schätzen es nicht, morgens von Herrn Lyserg geweckt zu werden mit Hofmanns Erzählungen. Ich einigte mich mit mir und dem Lexikon und Arabella Kiesbauer auf zehn Uhr. In drei Stunden könnte ich das Blumenkind anrufen und dann würde alles gut werden. Meine Pupillen waren riesengroß. Ich hielt sie unter Dauerbestrahlung, sie schrumpften nicht. Ich überlegte, ob ich mir einen runterholen sollte. Ich kam mit der Überlegung nicht weiter. Ich legte mich auf das Bett, stand umgehend wieder auf, das Spiegelbild war unterdessen nicht hübscher geworden.
Schon eine Minute vergangen.