Neuer Artikel bei Spreeblick über Alltagsdoping.
März, 2008
27
Mrz 08
Deutschland: Schweiz
So ein Testspiel ist natürlich kein richtiges Fußballspiel. Spielerwechsel sind nicht taktisch bedingt, sondern pädagogisch, das Spiel dauert wegen allgemeiner Kräfteschonung und Eh-Egalheit nur 70 Minuten und auf einmal steht Lahm im rechten Mittelfeld und Hitzlsperger dreht eine Pirouette im eigenen Strafraum.
Trotzdem ein paar Beobachtungen:
Westermann qualifiziert außer der Verletzung von Metzelder nichts zum Nationalspieler, nachdem Schweinsteiger Ballack nicht ersetzen konnte und Trochowsky erst recht nicht, konnte auch Ballack Ballack nicht ersetzen und Herr Lehmann hatte keine Gelegenheit, tja – je nach Sichtweise – einen Fehler zu machen/sich auszuzeichnen.
Béla Réthy hat arg verkrampft versucht, aus dem strammen Blick des Teilzeittorwarts eine gute Leistung abzuleiten. Aber es führt kein Weg dran vorbei – soll weiterhin das Leistungsprinzip gelten und die Nationalmannschaft nicht zur Meritokratie werden, dann muss Lehmann zuhause bleiben (wenn er verspräche, brav zu bleiben, könnte man ihn auch mitnehmen, aber Robert Enke ist eher zuzutrauen, sich freundlich lächelnd auf die Bank zu setzen).
Schweinsteiger pubertiert heftigst, Podolski ist momentan der bessere offensive Mittelfeldspieler, trifft jetzt sogar als Joker, Klose hält sich zu oft am eigenen Strafraum auf, das ist zwar nett, aber taktisch (von ihm oder vom Trainer) falsch gedacht. Denn verteidigen kann er nicht/ nicht ohne Foulspiel und vorne fehlt ihm die Konzentration. Fritz war ordentlich und einmal sehr ordentlich, Lahm und Mertesacker waren die besten. Von den normalen Spielern. Außergewöhnlich in seiner Schönheit und Verehrungswürdigkeit: Mario Gomez. Zuletzt so gut in Form war ein deutscher Spieler nach der WM 2002. Damals hieß der Spieler, der jedes Spiel entschied, Michael Ballck. Schneider hat nicht mitgespielt, nicht einmal für eine aufpäppelnde Einwechslung hat es gereicht. Aber wenn sein Zivi beim nächsten Spiel Zeit hat, darf er bestimmt wieder dabei sein.
Verschoben hat sich die Mannschaft erstaunlich gut, die Kombinationen liefen dagegen nicht besonders flüssig.
Das 0:4 war eher der Schweizer Harmlosigkeit zu verdanken als der deutschen Dominanz.
Aber schließlich: unter Rudi Völler wäre so ein Spiel von Anfang an eine Abwehrschlacht gewesen, nach dem 0:0 hätte man die Schweizerianer den erwartet rottrikotigen Gegner genannt, unter Klinsmann hätte man sich an einem retroaktiven 5:4 erfreut, das aber gestern: das war schon fast ein Fußballspiel.
27
Mrz 08
Die Mannschaft für die EM
Ich habe – mein Therapeutenteam möchte sich da ungern festlegen (“eine Diagnose schließt auch immer so viel aus”) – eine gewisse Tendenz zu Zwangshandlungen. Eine dieser Zwangshandlungen: ich schreibe in unregelmäßigen Abständen meine Wunschaufstellung der deutschen Fußballnationalmannschaft auf Zettel. Mir ist das selbstverständlich peinlich und daher vernichte ich die Zettel üblicherweise. Im EM-Jahr allerdings muss einem Mann überhaupt nichts mehr peinlich sein. Andere stellen Familien auf, ich Mannschaften.
25
Mrz 08
Bill hat eine Zyste!
Kreisch. Bill von Tokio Hotel, der größsten deutschen Band seit Geier Sturzflug, hat eine Zyste an den Stimmbändern. Im ARD-Magazin Brisant, das der Mitteldeutsche Rundfunk produziert, wird dieser Horrormeldung ein kleiner Beitrag aus der Praxis eines Hals-Nasen-Zysten-Arztes beigegeben. Stimmbänder sehen aus wie eine sehr glitschige Vagina.
Zwei Fragen:
Warum läuft bei uns öffentlich-rechtlicher Dummfunk um diese Zeit (nach 22 Uhr ist das verzeihlich, da ist mein Gehirn sowieso ein Auslaufmodell)?
Und warum darf man glitschige Vaginen zeigen, wenn man behauptet, es seien Stimmbänder?
Ohne diese Behauptung wären die Bilder doch viel hübscher.
25
Mrz 08
Türken
Die meisten Türken sehen aus, als kauften sie ihre Klamotten im “Zum hässlichen Türken”.
Und die allermeisten, die dieses seltsam aggressive, im Pimp-Roll daher kommende Türkendeutsch sprechen, sind blonde Kartoffeln.
So weit, so unästhetisch.
Abgesehen von der Straßenbildbereicherung, der Ergänzung des Schnellimbissangebots und der Sprachschleifung weiß man als Deutscher nicht so recht, was die Masseneinwanderung von Türken denn an Gutem hat.
Es gibt ein Problem zwischen Deutschen und Türken. Auch wenn die Türken seit vier Generationen hier leben und ihre deutschen Gegenparts “Ey, Alter, man, weischtu?” sagen.
Wenn man sich die 2606 Kommentare zu einem YouTube-Video über die Brandkatastrophe in Ludwigshafen anschaut, dann ist der Konflikt nicht wesentlich anders geartet als der, der in diesen Kommentaren zu einem Video, das einen Afroamerikaner zeigt, der einen Polizisten zusammenschlägt (das Video sieht unecht aus, ist aber auch egal), zum Ausdruck kommt.
Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass ein deutscher Politiker eine Rede wie Obamas A more perfect Union halten wird. Nicht, weil diese Rede so brillant wäre. Sondern weil man in Deutschland Deutsche und Türken nicht hinter einer Idee versammeln kann. Die deutsche Raison d´État existiert nicht. Das Staatsziel der deutschen Politik ist, weiterzumachen. Mit was? Müsste man mal in die Umfragen schauen.
Es geht hier (Blogtexte werden ja immer so unaufmerksam gelesen) nicht darum, die Behauptung aufzustellen, alle Türken und alle Deutschen hätten ein Problem miteinander, nicht einmal von einer Mehrheit beider Gruppen würde ich sprechen – es geht darum, dass es nicht einmal eine theoretische von einer Staatsidee getragene Möglichkeit der Versöhnung gibt – oder wenigstens eines YouTube-Hits.
So erinnern uns die Türkenjungs am Hermannplatz mit ihren Bushido-Frisuren und ihren schneeweißen Jacken daran, dass wir es seit 1949 nicht geschafft haben, der Welt mitzuteilen, was wir eigentlich wollen. Wollen wir möglichst viel Freiheit oder Rentenanspruchssicherung für jeden, der einen Ariernachweis bis zum Urgroßvater vorzeigen kann? Wir sind die Deutschen und wir würden gern in Ruhe gelassen werden. Das ist ein bisschen wenig.