Ist Kiffen super-harmlos und gesund wie eine Kneipp-Kur oder sind die Folgen gefährlich wie die einer Kneipen-Tour durch Riad, macht es Krebs und debil und führt darüber hinaus sogar zu Reggaetum? Irgendwo zwischen Cypress-Hill-Folklore und einem Frontal-21-Beitrag muss es doch so etwas wie eine Cannabis-Realität geben. Ich habe daher einen Interviewpartner gesucht, der zwar nicht neutral ist, der aber eine seriöse Aufklärung über Cannabis zum Ziel hat. Interview mit dem Hanfaktivisten Steffen Geyer nach dem Klick.
Malte Welding: Ich werde immer gefragt, wie man denn vom Bloggen leben kann. Aber trotzdem kann ich dir die Frage nicht ersparen – wovon lebt ein
Hanfaktivist?
Steffen Geyer: Die Frage musste ich mir in den ersten Jahren nicht stellen. Da war das Legalisierertum nur ein zweitaufwendiges Hobby neben dem Studium. Seit Mai 2004 bin ich nun ein ganz normaler Angestellter in einem Dienstleistungsunternehmen. Nur dass das Deutscher Hanf Verband heißt und für seine Kunden Cannabislobbyarbeit leistet. Reich werde ich davon nicht, aber immerhin kann ich das Tun, was mir Spaß macht und von dem ich glaube, dass ich gut darin bin und kann davon meine Miete bezahlen und den Kühlschrank füllen.
Malte Welding: Ich glaube ja, dass eher Tabak verboten wird als Cannabis legalisiert.
Angesicht des Gesundheitsfetischs, der der globale Großtrend schlechthin ist – glaubst du noch an Cannabislegalisierung zu deinen Lebzeiten?
Steffen Geyer: Wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass kein falsches Verbot ewig hält, könnte ich mich sicher nicht für eine Legalisierung engagieren. Für mich ist sie keine Frage des Ob, sondern des Wann!
Leider hängt die Beantwortung der Frage „Wann wird Cannabis legal“ in erster Linie von den Cannabiskonsumenten und ihren Angehörigen ab und die sind im Moment vorsichtig formuliert eher wenig politisch aktiv.
Malte Welding: Cannabiskonsumenten sind in der Regel nicht die besten Vertreter ihrer eigenen Sache, das ist wohl wahr. Ist deine Vorstellung, Vernunft werde sich durchsetzen nicht naiv? Es gilt in der Politik zum einen die alte Medizinerregel: „Je niedriger das, mit dem du dich beschäftigst, desto niedriger dein Ansehen.“ Weshalb es viele Bücher über Herz- und Hirnchirurgie, aber nur wenige über Blähungen gibt. Und dementsprechend viele Politiker, die Experten für den Nahost-Friedensprozess, aber wenige, die Cannabis-Experten sind. Oder sich als solche hervortun wollen.
Steffen Geyer: Ist es unvernünftig auf die Vernunft zu setzen? Das ist ja schon fast eine Glaubensfrage. So sehr ich mich auch winde, aus meiner rationalen Haut komme ich nicht raus. Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass kein falsches Verbot ewig besteht.
Das Scheitern der Prohibitionspolitik ist ja quasi ins System eingebaut. Schon weil Repression ihre Ziele Angebots- und Nachfragereduzierung so offensichtlich verfehlt.
Warum ich mich ausgerechnet mit Drogenpolitik beschäftige – Letztlich weil ich irgendwann begriffen habe, dass uns Kiffern niemand hilft, wenn wir es nicht selbst tun. Gerade, weil es vermeintlich um so wenig geht, muss irgendjemand die Politik vor sich hertreiben.
Es gibt die alte Weisheit, dass die Legalisierungsbewegung das Land wie eine Grippewelle ungefähr alle zwölf Jahre heimsucht. Die letzte „Legalisierungswelle“ ist von 1994-1998 gewesen. Es gilt also bis 2010 möglichst viel ehrliche Information unters Volk zu streuen, damit die kommende Welle nicht wie bisherige an „alter Prohibitionspropaganda“ bricht.
Malte Welding: Wie stellst du dir die Legalisierung konkret vor? Verkauf im Supermarkt wie beim Alkohol oder in der Apotheke wie bei Medikamenten oder als Abgabe an Süchtige wie beim Heroin?
Steffen Geyer: Ich wünsche mir die Einrichtung von Drogenfachgeschäften, in denen geschultes Verkaufspersonal zu jedem Drogenkauf Informationen über Wirkstoff, Wirkung und Nebenwirkungen anbietet. Auch „Alltagsdrogen“ wie Tabak und Alkohol haben im Supermarkt meiner Meinung nach nichts verloren.
Malte Welding: Wer würde deiner Vorstellung nach diese Läden betreiben?
Steffen Geyer: Wer verkauft denn die heute legalen Drogen. Man muss das Rad ja nicht neu erfinden. Wenn Cannabis legalisiert ist, sollte es da keine Unterschiede geben. Drogenfachgeschäfte statt Coffeeshops!
Mit nahezu allen Legalize-Kollegen und der Vereinigung der Coffeeshopbetreiber in den Niederlanden bin ich für ein striktes Werbeverbot für psychoaktive Substanzen. Alles was glücklich macht, enthemmt, anregt oder sonstwie zur Ablenkung von Alltagssorgen taugt, hat sowieso reichlich Mund-zu-Mund-Propaganda und braucht keine Hilfe der Werbeindustrie!
Schwieriger wird da schon die Frage nach der richtigen Altersgrenze. Cannabiskonsum insbesondere durch Jugendlich ist ja nicht frei von Risiken. Ich glaube deshalb, dass an einer Altersgrenze von 18 Jahren für den Erwerb und Besitz von Cannabis kaum ein politischer Weg vorbei führen wird.
Leider erreichen hohe Altersgrenzen oft nicht das gewünschte Ziel. Im Gegenteil drängen sie jugendliche Konsumenten in Grauzonen oder die Illegalität und erschweren so das rechtzeitige Erkennen problematischer Konsummuster. Oft genug, werden Hilfsangebote von jungen Kiffern schlicht nicht genutzt, weil sie Angst vor Strafe haben.
Malte Welding: Und wie schätzt du selbst die Gesundheitsrisiken von Cannabis ein – es gibt ja sehr widersprüchliche Studien. Es gibt sowohl eine Studie, die besagt, dass es Hinweise darauf gibt, dass Cannabis vor Lungenkrebs schützt, als auch eine, die davon ausgeht, dass ein Joint 20-Mal so krebserregend ist wie eine Zigarette (Link – unter „Research Highlights“ klicken).
Steffen Geyer: Die Studienlage zur Gefährlichkeit des Cannabiskonsums ist bei genauerem Hinsehen längst nicht so widersprüchlich, wie dies oft von den Medien kolportiert wird. Die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler spricht Cannabis nur ein geringes Gefahrenpotential zu.
Die wichtigsten akuten Nebenwirkungen können Kreislaufprobleme, Orientierungsschwierigkeiten sowie Halluzinationen sein. Diese Probleme klingen aber mit der Rauschwirkung also nach 2-4 Stunden wieder ab.
Kritischer können potentielle Langzeitfolgen sein. Da ist zunächst die Ausbildung einer Cannabisabhängigkeit, die laut Prof. Kleiber rund 2% der „Nur-Cannabis-Konsumenten“ betrifft. Häufigste Folgeerscheinung des Kiffens ist in Deutschland jedoch die Nikotinabhängigkeit, weil hier anders als z.B. in den USA in aller Regel ein Gemisch aus Cannabis und Tabak geraucht wird.
Nicht verschweigen will ich das Risiko, dass Cannabiskonsum eine latent vorhandene Psychose auslöst. Wie hoch dieses Risiko ist, ist sehr umstritten. Als sicher gilt jedoch, dass Cannabis keine Psychose „verursacht“ – aber es kann Psychose hervorbrechen lassen, die sonst womöglich erst Jahre später zu Tage getreten werden. Andererseits profitieren eine ganze Reihe von Psychosepatienten von der beruhigenden Wirkung von Cannabis und nutzen es um ihre psychotischen Schübe zu bändigen.
Malte Welding: Ich habe zwei unterschiedliche Grundmuster kennengelernt: Es gibt die, die früh (teilweise mit 14) angefangen haben und das Kiffen dann wie andere Angewohnheiten aus der Zeit der Pubertät abgelegt haben. Aber die, die wirklich mit 30 noch gekifft haben – und dann eben seit 15 Jahren dauerbekifft – die kannten sich ja gar nicht mehr nüchtern. Die hatten sich selbst tatsächlich noch nie als erwachsenen, unbekifft denkenden Menschen erlebt. Und hatten dementsprechend nicht einmal eine Vorstellung, wie sie drogenfrei leben könnten.
Mehrere unsere Leser sagen (und das Bundesverfassungsgericht argumentiert ähnlich): Wenn schon eine gefährliche Rauschdroge legal ist, mit all den zum Teil schwerwiegenden Folgen – warum dann noch eine zweite legalisieren? Was würdest du ihnen antworten?
Steffen Geyer: Es geht bei der Legalisierung von Cannabis ja nicht darum, einen neuen Drogenmarkt zu schaffen oder eine „neue“ Droge zu etablieren.
Cannabis ist schon tausende Jahre Teil der menschlichen Zivilisation. Daran haben die Jahre der Prohibition nichts ändern können.
Malte Welding: Allerdings gibt es in Deutschland keine Kultur des Umgangs. Ich habe das Kiffen kennengelernt in einem Umfeld, in dem es normal war, morgens Bong zu rauchen. Das ist zwar eines meiner Hauptargumente gegen die Prohibition – weil man Kiffen als etwas erlebt, das einfach nicht so wirkt, wie das, was man im Kopf hat, wenn man in der Schule vor Drogen gewarnt wird, geht man umso leichtfertiger mit Cannabis um – aber gleichzeitig kann man auch nicht leugnen, dass eine Tradition wie sie beim Alkohol besteht, mit dutzenden von Trinkfeiertagen wie Karneval, Oktoberfest, Silvester und Mallorca-Urlaub, für Cannabis schlicht nicht existiert und auch nicht aus dem Boden gestampft werden kann.
Steffen Geyer: Wer Angst vor der Legalisierung von Cannabis hat, sollte sich vor Augen halten, dass mehr als 4 Millionen Deutsche kiffen und jeder fünfte Europäer bereits Erfahrungen mit diesem uralten Rauschmittel gemacht hat.
„Nach vorsichtigen Schätzungen haben mehr als 70 Millionen Europäer mindestens einmal (Lebenszeitprävalenz) Cannabis konsumiert, das entspricht über einem Fünftel der Bevölkerung im Alter zwischen 15 und 64 Jahren.“ Jahresbericht Drogen 2008 der EMCDDA (S. 41f.)
Eine legale Hanfkultur müsste also nicht aus dem luftleeren Raum zusammengezimmert werden. Schon heute gibt es dutzende Magazine und Zeitschriften, hunderte, wenn nicht tausende Webseiten beschäftigen sich mit Cannabis und seinen Konsumenten.
Ich bin mir sicher, dass die Mehrheit der Deutschen in ihrem täglichen Leben kaum etwas von der Legalisierung merken würde. Mehr Polizei für „echte“ Verbrechen und kürzere Verfahrensdauer vor Gericht sind die wesentlichen Änderungen, die Nichtkonsumenten erwarten dürfen.
Malte Welding: Bei welcher Partei erwartest du am ehesten Unterstützung? Die Jugendorganisationen der Parteien lehnen sich ja teilweise recht weit aus dem Fenster, aber auf Bundesebene passiert gar nichts. Claudia Roth ist mir noch vor Augen mit dem Satz: „Es muss ein Joint durch Deutschland gehen“. Aber passiert ist auch unter rot-grün: Nichts.
Steffen Geyer: Zu Recht haben insbesondere die Grünen in den letzten Jahren viel Kritik für ihre in Sachen Cannabis verschenkte Regierungsbeteiligung einstecken müssen. Dabei hätte Bündnis 90/ Die Grünen sicher gern mehr getan.
Doch zur Rot-Grünen Regierung gehörte auch die SPD und die hat schon vor den Koalitionsverhandlungen gesagt, dass sie über dieses Problem nicht diskutieren wird. Am Ende war den Grünen der Atomausstieg wichtiger als eine Legalisierung.
Auch im anstehenden Bundestagswahljahr 2009 wird die Debatte über die Cannabisfreigabe wohl kaum über Parteigrenzen hinweg geführt werden. Die beiden „Volksparteien“ sehen keinen Handlungsbedarf. Die kleinen sind zwar laut Programm zumindest für eine Entkriminalisierung des Besitzes für den eigenen Bedarf (ja auch die Liberalen), werden eine Regierungsbeteiligung aber sicher nicht an solch einer „Kleinigkeit“ scheitern lassen.
Aber wer weiß – Wenn sich nach der Wahl z.B. ein Rot-Rot-Grünes Bündnis formiert, dann werden die Karten neu gemischt. 1998 konnte die SPD ja noch über 40 Prozent der Stimmen in die Waagschale werfen!