Pauls Untergang

Ich könnte mir wenigstens einen runterholen. Wichsen auf LSD. Hey!
Im fünften Anlauf schaffte ich es, den Computer anzumachen und mir ein Girls Gone Wild-Video runterzuladen.
Im Idealfall hätte das jetzt virtueller Sex sein können, das honigfarbene Haar der Spring-Break-Mädchen hätte geduftet, ihre Schokoladenhaut sich zart an meinen Bauch geschmiegt, ihr Lachen wie ein Gebirgsbach geplätschert.
Stattdessen sah ich allzu klar, dass es sich nicht um High-School-Absolventinnen handelte, die aus Freude an der Nacktheit ihre Brüste entblößten.
Ich sah White Trash, drittklassige Pornodarstellerinnen, die für Girl-Girl-Szenen deutlich weniger Geld bekommen als für Doppel-Penetrationen, weshalb die Herstellung der Girls Gone Wild-Serie so billig ist.
Mein Schwanz blieb weich, ich drehte an ihm herum, aber alles, was ich sah, waren orangefarbene Fingernägel und billiger Schmuck, kleine Schmetterlingspiercings in solarierten Bauchnäbeln, Knasttattoos und dumme Augen.
Ich versuchte es mit den Russinnen von Grigori Galitsin. Es regte sich etwas. Die seelenlose Erdenschwere der russischen Nacktheitsschule lag meinem nach Halt suchenden Angsthirn näher als die kreischende Fröhlichkeit der Amerikaner.
Ewigkeiten vertiefte ich mich in Achselhöhlen tadschikischer Ballerinen, war verzaubert von den dichten Schamhaaren einer Kasachin, die in der Rubrik Hobbys Violine, Schachspiel und Taekwondo angegeben hatte, sah butterblonden Zwillingen bei Tanzübungen zu und ejakulierte schließlich im hohen Bogen beim Anblick eines Ladebalkens.
Ich hatte es geschafft, beim Onanieren zu früh zu kommen.

Mein Herz schlug. Zu laut und zu schnell. Aber immerhin konnte ich jetzt Greta anrufen. Wieder die Mailbox. Ich schaute auf die Uhr. Halb acht. Ich rief auf dem Festnetzanschluss der Ulmenthals an.
Die unendlich müde Stimme von Frau Ulmenthal.
Ich sagte, dass ich ich bin und ob Greta schon wach sei.
„Paul?“
„Ja, Guten Morgen, hier ist Paul.“
„Woher soll ich wissen, ob Greta schon wach ist?“
Während ich versuchte, Frau Ulmenthal zu erklären, dass Greta bei ihr oben in ihrem alten Kinderzimmer liegen müsse, passierte genau das, was für solche Situationen beschrieben wird. Der Boden schwankte unter meinen Füßen und verschwand schließlich ganz, ich hing über einem Abgrund und nur der Telefonhörer gab mir noch Halt.

Greta hatte gelogen.

Greta hatte heute nicht bei ihren Eltern übernachtet.

Irgendetwas in meinem Hirn schlug Funken. Ich konnte den Hörer nicht auflegen, obwohl Frau Ulmenthal längst wieder ins Bett gegangen war. Ich rief bei Mascha an, bei Karla, bei Micaela.
Dreimal der Anrufbeanworter.
Bestimmt war sie bei einer von den dreien, hatte sich kurzfristig umentschieden, alles ganz harmlos, nimm eine Schachtel Aspirin, leg dich schlafen. Und wenn du aufwachst, dann ist alles wieder gut.
Aber ich hörte ihnen nicht recht zu.
Greta hatte gelogen.
Ich war allein.
Und das LSD hörte nicht auf zu wirken.

Ich rief Anna an und beschwor sie, alles stehen und liegen zu lassen, egal, woran sie gerade arbeitete. Ein Notfall. Der Untergang.
Anna versprach, mich in einer Stunde wieder anzurufen. Ich solle Milch trinken, das habe Hoffmann auch gemacht bei seinem ersten LSD-Selbstversuch.
„Aber Milch bringt doch Greta nicht zurück.“

Als ich aufgelegt hatte, bekam ich No Milk Today nicht mehr aus dem Ohr.

Ich überlegte, zu meiner Hausärztin zu gehen. Ich erinnerte mich an einen Artikel über ein Super-LSD, dessen Wirkung durch die Medikamente, die man beim Arzt bekommt, verstärkt wurde. Ich hätte sowieso nicht vor die Tür gekonnt.

No milk today. My Love has gone away.

Das Telefon. Anna sagte, dass sie einen Termin verschieben konnte und jetzt vorbei kommen würde.
Ich stellte mich die nächste Viertelstunde an die Tür, um rechtzeitig an die Klingel zu kommen.
Unterdessen hatte ich fünfzehn Mal auf Gretas Mailbox gesprochen.
- „Hey Greta, na! Gut geschlafen? Meld dich mal.“
- „Greta, du bist gar nicht bei deinen Eltern. Wo bist du denn dann?“
- „Greta, mir geht es nicht so gut, bitte ruf an!“
- „Greta, wenn du das hörst, also das ist kein Problem, dass du nicht bei deinen Eltern bist, ruf einfach an, dann bewerbe ich mich auch, wo du willst.“

Anna hatte mir einen Schlaftee gekauft. Sie bereitete ihn mir zu. Ich zitterte, sie machte mir eine Wärmflasche.

„Greta liebt dich doch, das ist nur ein blödes Missverständnis.“
„Greta war zuletzt nicht mehr so richtig zufrieden, glaube ich.“
„Du siehst Gespenster.“

Anna las mir aus ihren Akten vor, bis ich einschlief.
Gegen fünfzehn Uhr wurde ich vom Telefon geweckt.

Ich erinnere mich nicht mehr an den genauen Wortlaut des Gesprächs. Es war kein Missverständnis. Es tat ihr wahnsinnig leid, dass ich es so.
Ich weiß noch, dass sie den Satz nicht zu Ende gesprochen hat.
Wozu auch.
Die Aussichtslosigkeit, dass ich mich noch ändern konnte.
Mein beruflicher Scheiß.
Der ganze Streit.
Und ja, ein anderer. Nein, natürlich nicht: betrogen. Nur eben: besser für sie jetzt. Und bestimmt das Beste für uns.
Und dann, recht übergangslos: der praktische Teil.
Die Wohnung könnte ich mir sowieso nicht allein leisten, sie dagegen schon. Sie wäre sehr dankbar, wenn ich bei einem Freund unterkommen könnte. Wenn ich ihre Entscheidung, wenn ich sie ernst nehmen würde, würde ich nicht mehr in der Wohnung sein, wenn sie käme.
Warum ich überhaupt so oft angerufen hätte und vor allem: bei ihren Eltern?
LSD? Ach, Paul.

Als wir uns nach von langem Schweigen unterbrochenen Stammeln verabschiedeten, war ich nicht einmal richtig traurig.
Ich raffte ein paar Sachen zusammen, meinen Laptop, ein paar Unterhosen und zwei T-Shirts.
Kurz dachte ich, dass das doch Quatsch sei, dass ich hier bleiben und um sie kämpfen würde.
Dann nahm ich die Sachen und fuhr zu Jakob und Ellen.

10 comments

  1. I like.

  2. hey raus aus meinem gehirn ;)

  3. fein.

  4. wie traurig.

  5. a rollercoaster trip of emotions – selten so gelacht und dann so mitgefühlt. Wow.

  6. Awwww … *sniff*

    Ewigkeiten vertiefte ich mich in Achselhöhlen tadschikischer Ballerinen, war verzaubert von den dichten Schamhaaren einer Kasachin, die in der Rubrik Hobbys Violine, Schachspiel und Taekwondo angegeben hatte, sah butterblonden Zwillingen bei Tanzübungen zu und ejakulierte schließlich im hohen Bogen beim Anblick eines Ladebalkens.
    Ich hatte es geschafft, beim Onanieren zu früh zu kommen.

    FTW! *lol*

  7. Schön geschrieben :)

  8. *sings*

    just another perfect day…

    danke für die Story

  9. Wann gibt es diese großartigen Texte eigentlich endlich in Buchform? :)

  10. hmm
    naja

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