Juli, 2009


16
Jul 09

Nach den Netzsperren: Die Schuldvermutung

Ist J.K. Rowling pädophil?
Nein. natürlich nicht, das heißt: Woher soll ich das wissen, also sicher kann man sich natürlich nie… Oh mein Gott, die macht Lesungen vor Kindern und man weiß nicht, ob sie nicht vielleicht DOCH pädophil ist!
Gottseidank gibt es das britische Vetting and Barrel Scheme.

Jeder, der mit Kindern zu tun hat, muss sich auf eigene Kosten registrieren lassen und wird einer Sicherheitsprüfung unterzogen. Dazu gehören auch Kinderbuchautoren.
Gibt es so etwas wie den pädophilen Blick? Schaut man Weihnachtsmännern, Kioskverkäufern, Eisdealern, Comicladenbesitzern und George Lucas nun tief in die Augen, ehe sie mit Kindern in Kontakt treten?

Und was ist mit Eltern und Verwandten? Jede Statistik belegt schließlich die Gefährlichkeit des Stiefvaters (beziehungsweise des neuen Partners der Mutter) für das leibliche Wohl des Kindes. Sollte man nicht besser bei Geburt eins Babys sämtliche Verwandte des kleinen Erdenbürgers registrieren, ihre Festplatten durchstöbern oder ihnen nackte Säuglingspuppen zeigen und dabei ihre Genitaliendurchblutung messen?

Und können wir es dabei belassen? Sind nicht alte Menschen ähnlich hilflos? Müssen wir nicht, um als Gesellschaft, die ihren schwächsten Mitgliedern Schutz bieten will, gelten zu können, den Anstand haben, Altenpfleger auf ihre Neigung zu Diebstahl und Nachlässigkeit beim Thema Windelwechsel zu überprüfen?

Müssten wir nicht bei Vorstandsvorsitzenden von DAX-Unternehmen besonders gründlich ihren Hang zur Steuerehrlichkeit testen, schließlich überlassen wir ihnen die Verantwortung für das ganze gute Geld?
Entschuldigung, den letzten Punkt ziehe ich wegen offensichtlicher Hysterie zurück.

Es ist leider etwas untergegangen, dass auch unsere Justizministerin Brigitte Zypries die Unschuldsvermutung zur Schuldvermutung machen wollte. Zum Thema Jugendpornographie sagte sie auf abgeordnetenwatch.de:
„Auf die Kategorie ‚Scheinjugendlicher‘ bezogen bedeutet das, eine jugendpornografische Schrift liegt vor, wenn aus der Sicht eines verständigen Beobachters nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass die Darsteller Jugendliche sind.“

Solange das Gegenteil nicht sicher ist, gilt man also als schuldig.

Das Bundesverfassungsgericht hat der Ministerin wohltuend deutlich widersprochen:
Es genüge nicht, „dass die Volljährigkeit der betreffenden Person für den objektiven Betrachter zweifelhaft ist; vielmehr müsste der Beobachter umgekehrt eindeutig zu dem Schluss kommen, dass jugendliche Darsteller beteiligt sind.“ Das Gericht führt ganz konkret als ein mögliches hinreichendes Kriterium – in Bezug auf die Darsteller – an, „wenn sie (fast) noch kindlich wirken und die Filme somit schon in die Nähe von Darstellungen geraten, die als (Schein-) Kinderpornographie unter den Straftatbestand des § 184b StGB fallen.“

Das Bundesverfassungsgericht muss der Bundesjustizministerin erklären, dass die Unschuldsvermutung noch Bestand hat.
Wann werden wohl die Richter zur Vernunft kommen?

via Reddit


15
Jul 09

Der Wahrheit verpflichtet: Vodafone

Vodafone-Werbung “Heroes” Satire from Generation Upload on Vimeo.

via Lawblog


8
Jul 09

Kinderstars

“Menschen, die damit protzen, George Orwells „1984“ gelesen zu haben, Menschen, die nicht müde werden, ihre Skepsis gegenüber den Medien zur Schau zu tragen und die Ursula von der Leyen als oberflächliche, als naive Ignorantin bemaulen – genau diese Menschen glauben angesichts des Todes von Michael Jackson, was die Medien ihnen vorsetzen, die Medien, die sich zumindest und zuerst der Quote verpflichtet sehen. Und die gedeiht immer gut angesichts von Bigotterie.”

Bei daily-ivy gibt es einen wirklich gelungenen Text (den Felix Schwenzel zurecht “das gegenteil von misanthrop” nennt) zur Beerdigung Michael Jacksons.
Wem beim Anblick des von Jackson selbst gezeichneten Bildes seiner Kindheit im Nachhinein etwas klamm wird, der muss keine Kerze anzünden, denn für Jackson kann man nun nichts mehr tun.

Wenn ich mich richtig erinnere, dann hat Leo Tolstoi einmal geschrieben, die Formel “Über die Toten nur Gutes” sei zutiefst heidnisch. “Über die Lebenden nur Gutes” das wäre eine echte Herausforderung (ich habe es vermutlich bereits erwähnt: ich bin an meinem Zen-Diplom gescheitert, als mir eine Sendung von Markus Lanz gezeigt wurde und ich etwas Nettes dazu sagen sollte).

Nehmen wir doch in dem Versuch, bessere Menschen zu werden, eine andere Ikone unserer Zeit, deren nackten Schoß wir so gut kennen wie unseren eigenen und über die genauso viel Schwachsinn verbreitet wurde wie über Jackson: Britney Spears.

Dieses Video, eine Collage aus Entertainment-News-Schnipseln (das Flaggschiff des deutschen Journalismus taff ist auch vertreten), zeigt uns nichts anderes als eine Menschenjagd.

Joachim Lottmann schrieb in der Jungle World zum Tode Michael Jacksons:

“Hier sah man, wie verroht die Öffentlichkeit im Medienfaschismus geworden war.
(…)
Trotzdem bestand eine unüberschreitbare Übereinkunft aller Medien, den Popstar wie den Präsidenten zu überdimensionalen Verbrechern zu machen. Das Erschreckende daran war, dass es keine einzige Gegenstimme gab. Daher auch der zweite Teil des Wortes Medienfaschismus. Wie bei den Schauprozessen unter Stalin wagte niemand, dem offiziellen Bild zu widersprechen.”

Ich halte die Boulevardmedien und die boulevardisierten Qualitätsmedien nicht für eine neue Form des Faschismus.
Eher bricht hier ein postbürgerlicher Typus des Journalisten durch, der die Pressefreiheit nur noch für eine Lizenz zum Abdrücken und Gelddrucken hält, für den die Botschaft ein Hippiebegriff ist und ein Gedanke Platzverschwendung.

Wenn Lottmann fortfährt “Die Wahrheit war: Jackson war ein armes Schwein und ein Genie, keinesfalls aber kriminell. Kriminell waren die Eltern, die ihre Kinder zwangen, den Popstar falsch zu beschuldigen und ihm damit Geld abzupressen”, dann zeigt sich hier der rührende Versuch, auf dem Boden eines Ozeans aus Fäkalien eine Schatztruhe mit Wahrheit zu erhalten.

Und auch der oben verlinkte Text auf daily-ivy.de ist vom Wunsch dieser Wahrheitssuche durchdrungen.
Dabei ist es anders: Celebrity-News führen uns in eine Scheinwelt, hinter der nicht etwa eine für uns erkennbare Welt verborgen ist, sondern allein die Botschaft: Privat.

Am Ende geht es die Welt nichts an, ob ein Popstar Kinder missbraucht oder Drogen nimmt.
Wir müssten bereit sein, uns damit abfinden, nichts zu wissen über die, die für uns singen und Filme drehen.
Wer nun sagt, das sei doch unrealistisch, dem kann ich nur antworten: Wir wissen doch schon nichts.


7
Jul 09

Pirat über Bord

Im Blogblick für die Netzeitung habe ich über die Reaktionen aus Bloggerkreisen auf die revisionistischen Äußerungen des Piraten Bodo Thiesen geschrieben.

Aufgrund dieser Reaktionen hat sich die Piratenpartei nun von Thiesens Äußerungen distanziert.

“Wir haben keinen Zweifel daran, dass im Zuge dieses historisch einzigartigen Verbrechens des nationalsozialistischen Deutschlands circa 6 Millionen Menschen umgebracht worden sind, die meisten von ihnen Juden.”

Singularität? Check.
Zahl? Check.
“Die meisten von ihnen”? WTF? Möph!

Ich habe vieles gelöscht in meinem Leben, das meiste davon waren Wörter.

“Die Meinungsfreiheit ist ein hohes und von uns Piraten außerordentlich wertgeschätztes Gut. Amtsträger der Partei sind aber in der besonderen Pflicht, die damit verbundene Verantwortung über ihre eigenen Interessen zu stellen und Schaden von der Partei abzuwenden.”

Haben die Piraten am Ende gar nicht verstanden, worum es geht?
Was genau ist noch einmal eine Meinung?
Ist – sagen wir mal – der Satz “Karsten M. aus A. an der W. ist wegen mehrfachen Kreditbetruges verurteilt worden” eine Meinung?
Natürlich nicht.
Und auch Holocaustleugnung ist keine Meinung und kann begrifflich nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sein.

Man kann natürlich am Ende einer Botanik-Seminararbeit über Rudelbildung im Bundesligafußball reden, aber warum sollte man das tun?

Ich kenne aus eigener Erfahrung drei Grundtypen von Holocaustleugnern.
Da ist der Antisemit, der gerne mal anfängt, von anderen Verbrechen der Menschheitsgeschichte zu reden. Beliebter Satz: Die Engländer haben das Konzentrationslager erfunden.
Dann gibt es die Nazis, die sich auch als solche bezeichnen. Einmal habe ich eine Lehrerin kennengelernt, die selber glaubte recherchiert zu haben, dass die Zahl der Opfer viel kleiner sein müsse.
Und dann gibt es die halbbelesenen Verschwörungsliebhaber, die in ihrer Kindheit nicht gelernt haben, dass es Bücher von unterschiedlicher Qualität gibt. Die sind ihrer Gesinnung nach harmloser als die ersten beiden Typen, in ihrer Ignoranz aber noch schüttelwürdiger. Sie würden den Holocaust am liebsten behandeln wie die Schlacht bei Issos. Dass wir dabei von einem Verbrechen reden, das bis heute nachwirkt in den Familien der Opfer, von einem Verbrechen, das eine klaffende Wunde in der Menschheitsgesellschaft hinterlassen hat, ficht sie nicht an.
Man wird doch mal sagen können.
Und das ist das Ekligste an diesen Debatten. Von Möllemann über bekiffte Idioten bis Thiesen wird immer wieder so getan, als gäbe es ein Dogma, an dem man nicht rühren dürfe. Als gäbe es keine Geschichtsforschung zu dem Thema. Wenn man den Wikipediaartikel zum Holocaust liest, wird einem nicht entgehen, dass verschiedene Forscher zu voneinander abweichenden Opferzahlen kommen. Es gibt die von Thiesen behauptete Problematik nicht, es hat sie nie gegeben. Die Holocaustforschung ist frei.
Es steht bloß nicht jedem, der das Internet vollkritzeln kann, zu, eine Zahl in den Raum zu werfen.

UPDATE:

Unter Applaus: Thiesen wehrt Kritik auf dem Parteitag ab.

UPDATE 2:

Neue Erklärung von Bodo Thiesen


5
Jul 09

Endlich wieder Normalität im Iran

“Also die allerletzten Tage in Teheran haben in der Tat wieder eine etwas ruhigere Lage einziehen lassen. Zuvor war es durchaus sehr dynamisch, sage ich mal vorsichtig, in dieser Stadt. Es war natürlich zu spüren die allgemeine Unruhe, auch in der Bevölkerung, auch in der Belegschaft der Handelskammer. Dieses hat sich jetzt etwas wieder gelegt. Es ist quasi wieder etwas Normalität eingezogen.”

Das sagt Daniel Bernbeck, Geschäftsführer der Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer im Gespräch mit dem Deutschlandradio.
Die Unruhe und die Dynamik einer demokratischen Bewegung ist natürlich Gift für den Handel. Wie behaglich dagegen die Normalität eines Regimes, das seine Gegner hinrichtet.

Aber unter uns: Demokratie ist doch auch bloß so ein Wort.

“Ich denke, Demokratie ist immer ein Begriff, der mit nationalem Verständnis und mit lokaler Kultur zusammenhängt. Es wird unterschiedlich verstanden, wie man mit Autorität umgeht, und deswegen lässt sich das schwer transportieren oder transferieren auf ein anderes Land. Ich denke, auch die Iraner haben ihre ganz eigene Vorstellung von dem, was Freiheit ist, was Unabhängigkeit ist, und auch, was Demokratie ist.”

Wenn also Demokratie Ansichtssache ist, dann kann man natürlich dem Iran auch Überwachungstechnologie verkaufen.

Der ehemalige kanadische Justizminister Irwin Cotler, für den Hinrichtungen nicht zum Lokalkolorit gehören, sagt hingegen:

“Es ist wichtig für eine Zivilgesellschaft, die Daniel Bernbecks zur Verantwortung zu ziehen.”

Zivilgesellschaften können schon sehr anstrengend sein. So seltsam rechtsstaatlich und dynamisch.


4
Jul 09

Homöopathie in der Notaufnahme


3
Jul 09

Michael Jackson

Einen Tributesong gibt es schon längst für Michael Jackson. Er klingt nach Nana mit einem Hauch Papa Bear und heißt «Better on the Other Side». Nun wissen wir nicht mit Sicherheit, ob es auf der anderen Seite wirklich besser ist. Kommt drauf an, sagen führende Nahtodexperten.

Weiter in der Netzeitung


2
Jul 09

Der Heidelberger Appell

Die Autoren des Heidelberger Appells zeigen sich schon zu Beginn nicht kleinlich. Verfassungsmäßig verbürgt sei das Urheberrecht. Erfahrungsgemäß genügt ein Blick ins ursprüngliche Werk, um die Richtigkeit dieser Aussage zu überprüfen. Und siehe da: Das Grundgesetz sagt zu der Frage, wie das Urheberrecht ausgestaltet sein sollte, in etwa so viel wie die Bibel zur embryonalen Stamm­zellenforschung.

Weiter in der Jungle World


1
Jul 09

Ehrlich, CDU?

Markus Majowski ist ein Fan von Angela Merkel. Und er hat einen Film für die Kanzlerin gemacht.
Nun werden Sie fragen: “Markus Majowski, ist das nicht der, der mit Kieselsteinen nach Kindern geworfen hat?”
Aber nicht doch. Markus Majowski ist ein TV-Star, Sie kennen ihn als Schauspieler, Autor und Regisseur.

“Selbst getextet.
Selbst gedreht.
Bei sich zu Hause.”

Markus Majowski hat in den letzten Jahren also festgestellt, dass während der Regierungszeit von Angela Merkel Deutschland einfach schöner geworden ist.

Als Markus Majowski noch jung war und Geld brauchte, da konnte er nicht einfach so in sich hineinspüren und dort in seinem Innersten einen Ort finden, an dem es durch Merkel schöner geworden ist.
Da musste er Werbung für die PDS machen.

Nachdem wir uns die Tränen aus den Augen gewischt haben, seien wir doch für einen Moment ernst.
Warum eigentlich ist die CDU so ungeheuer schwammig in ihren Aussagen? Immerhin wurde doch eine volle Legislaturperiode lang regiert, man wird doch auf irgendetwas stolz sein.
Nehmen wir doch zum Beispiel, vergessen wir aber auch nicht. Ja. Was?
Irgendwie ist mir entfallen, was Angela Merkel in den vergangenen vier Jahren gemacht hat.
Ich schaue also in der Wikipedia nach:

“Zu Beginn der Legislaturperiode traten Merkel und ihr Kabinett weder außen- noch innenpolitisch in besonderem Maße in Erscheinung.”
(…)
“Merkel drängte darauf, dass der Bezug auf Gott und den christlichen Glauben in der EU-Verfassung verankert wird. Letztlich konnte sich diese Forderung, die unter anderem auch aus Polen, Irland und Italien erhoben wurde, nicht durchsetzen – im Vertrag von Lissabon wird nur auf das „kulturelle, religiöse und humanistische Erbe Europas“ Bezug genommen.”

Erst trat sie nicht in Erscheinung und dann wollte sie etwas Unwichtiges, woraus aber nichts wurde.
Zusätzlich traf Merkel den Dalai Lama und dann kam auch schon die Krise.

Bevor sie Bundeskanzlerin wurde, hatte sie übrigens noch einen echten Schenkelklopfer auf Lager, an den man sich viel zu selten erinnert:
“Im Vorfeld des Irakkriegs bekundete Angela Merkel ihre Sympathien gegenüber der Irak-Politik der USA und der „Koalition der Willigen“.”

Mhm. Die amerikanische Irakpolitik, wie sah die nochmal aus?
Achja: Demokratie bringen, sich Blumenkränze flechten lassen und dann als umjubelte Freiheitsbringer wieder verschwinden. Hätte ich auch unterstützt. Wäre ich Angela Merkel.

Das kann es aber doch nicht gewesen sein. Wofür steht also Angela Merkel?

Zum Beispiel für Proteste gegen Greenpeace.
Ist nicht wahr?
Schauen Sie doch mal:

Lassen Sie mich zu all dem nur eine Frage stellen:
Weiß Helmut Kohl das?


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