Pünktlich um Acht stehe ich vor ihrer Tür. Die kirschhaarige Freundin öffnet.
„Hallo Paul, hast du es gut gefunden? Ich bin schon fertig, wir können gleich los.“
Wie am Ende von „Die üblichen Verdächtigen“ fügt sich mit einem Mal das Geschehen zu einem Bild des Schreckens. „Die ist nicht blond.“ Ich beginne zu begreifen. Adrian! Dieser hirntote Superintellektuelle hat unter völliger Ausblendung menschlicher Geschmacksempfindungen das falsche Mädchen angesprochen. „Die ist nicht blond.“ Dieser hypochondrische Ein-Mann-Karnevalszug ist seinem eigenen sadomasochistischen Geschmack gefolgt und hat mir ein Date mit der bizarren Freundin arrangiert. Eine Frau wie Mascha. Ich schaue auf die goldenen Sandaletten der Kirschhaarigen. Riesige Knochenfüße mit rosa Nagellack. Blut ist im Schuh. Ich wanke voran.
Wir fahren zum Bonfini. Ich bestelle Filet mit Zeugs und Cola, sie einen unaussprechlichen Salat und Weißwein. Ich frage nach ihrem Studium und sie antwortet irgendetwas Einstudiertes. Aus Verzweiflung schneide ich das Thema Beziehungen an. In dem Joint war doch etwas zu viel und mein Magen knurrt. Mir ist unglaublich heiß, ich bin völlig unterzuckert und einen Moment kokettiere ich mit dem Gedanken, einfach rauszurennen. Während sie über ihren Exfreund redet oder den besten Freund des Exfreundes oder dessen Hund (ich komme mit den Namen durcheinander, weil alle auf i enden, Timmi, Charli, Tommi, Doofi), starre ich fasziniert auf ihre winzige Uhr, an deren Seiten sommerbesprosster Handgelenkspeck hochquillt.
Als das Essen endlich da ist, führe ich einen Blitzkrieg gegen die Beilagen und habe dann nur noch ein riesiges Stück Fleisch vor mir. Wir loben das Essen und als sie sagt, dass sie seit BSE kein Fleisch mehr isst, verabschiede ich mich aufs Klo.
Erfreulicherweise lebe ich nicht in einer Soap oder in einem Film mit Heinz Rühmann, deshalb muss ich hier die Verwechslungskomödie nicht auf die Spitze treiben. Ich kann Claudia einfach sagen, dass sie die Falsche ist, eine Höflichkeitsfloskel hinterherschieben, mein Bedauern ausdrücken, wir lachen ein bisschen, gute Miene. Und dann hätte ich gern noch die Nummer der Richtigen. Ich schwitze biblisch. Ich gehe zurück zum Tisch, lächle, setze mich und sage: „Es ist mir wahnsinnig unangenehm, das jetzt zu sagen und wahrscheinlich hätte ich das sofort, also. Adrian hätte deine Freundin nach ihrer Nummer fragen sollen. Aber offensichtlich hast du ihm so gut gefallen, dass er sich gar nicht vorstellen konnte, dass ich die andere meine.“
Claudia guckt ausdruckslos.
„Es tut mir wirklich leid, ich mein: Du bist natürlich großartig, aber deine Freundin, die, also.“
„Da bin ich aber erleichtert.“
„Oh. Ja?“
„Du meinst, ich habe Adrian Stein gut gefallen?“
„Also du bist – 100% sein Typ. Deshalb sitzen wir ja hier.“ Ich schiebe aus alter Gewohnheit ein dümmliches Lachen hinterher.
„Und ich war schon ganz bedröppelt, dass er mich anspricht und dann für seinen Freund nach der Nummer fragt. Hallo? Ich. Vergöttere. Adrian. Stein. Und dann sowas.“
Na sowas.
„Ja aber, aber das ist doch wunderbar!“, rufe ich etwas zu enthusiastisch.
„Ich kann da gern mal etwas ausmachen zwischen euch. Also Quatsch, ich bin ja kein Datedoktor – ich gebe dir einfach seine Nummer.“ Datedoktor?
„Neee, gib du ihm meine. Ich rufe doch nicht irgendwelche Männer an.“ Sie lacht.
„Aber Adrian Stein! Der größtanzunehmende Poet unter den deutschen Neorealisten.“
„Iieh, wer hat denn das gesagt?“
„Stand im SZ-Feuilleton über ihn.“
„Adrian Stein ist einfach so echt.“
Ja. Echt blind.
Das Dessert verläuft dann recht entspannt. Wenn sie sich nicht auf einem Date wähnt, ist Claudia eine nette Gesprächspartnerin, sie erzählt lustige Geschichten vom Koterbrechen, während ich meine Mousse au Chocolat löffele und verspricht, mich lobend bei Elisa, so heißt das Lacoste-Mädchen, zu erwähnen. Dann schreibt sie mir Elisas Nummer auf.
Ich fahre sie nach Hause und spreche auf Adrians Mailbox, ob er nicht vielleicht noch viel kranker ist, als er es selber für möglich hält, sage aber noch „halb so schlimm, du hast ein Date“, damit es nicht so böse klingt.
In meinem Bett rolle ich mir noch einen Joint und denke über das „Da bin ich ja erleichtert“ nach.
Erleichtert, dass ich nicht an ihr interessiert bin. Da habe ich ja grandiose Aussichten bei ihrer besten Freundin.
Ich blättere in einem Exemplar von Matzes „Der Sexualmarkt“. Die Bücher fliegen hier überall rum. Ja, da steht, dass ich verloren bin:
Auf dem Sexualmarkt gilt das Matthäusprinzip. Wer hat, dem wird gegeben. Das ist natürlich äußerst ungerecht, aber ein unverrückbares Prinzip. Wenn man also verlassen worden ist, dann sollte man das nicht an die große Glocke hängen. Trost findet man nicht in Mitleid, sondern in Bewunderung. Man hat sich grundsätzlich einvernehmlich getrennt. Sagt zwar jeder, aber kaum jemand macht sich die Mühe, einer Lüge auf den Grund zu gehen.
„Meine Freundin hat sich vor Kurzem von mir getrennt“, habe ich in eine sich bedrohlich ausdehnende Gesprächspause hinein gesagt. Vor dem Essen, im diabetischen Delirium. Sogar meine Unfähigkeit, mir selber eine echte, aus gängigen Zutaten bestehende Mahlzeit zuzubereiten, habe ich erwähnt. Aus mir sprach der Hunger.
Ich bin im Eimer. Schlimmer: Ich bin der Spatz in der Hand. Wenn Sie Adrian Stein, Schriftsteller, nicht bekommen, können Sie sich immer noch mit Paul Klinghofer, Internettagebuchschreiber, treffen.
Auf meinem Laptop entdecke ich eine alte Staffel Doktor House. House entdeckt bei einem minderjährigen Top-Model, das von seinem Vater gefickt wird (der Vater ist unschuldig, das Model war die Verführerin), einen Tumor in den unterentwickelten Hoden (das Model hat ein Y-Chromosom, aber unglaublich viel Östrogen).
Immer noch beschämt schlafe ich ein. Ich träume, dass ich vor einem Apparat mit Wählscheibe sitze. Ich muss Greta, die bei einem Kongress in Kuala Lumpur ist, anrufen. Sie soll mir etwas zu essen mitbringen. Die Nummer besteht aus 27 Ziffern, ich drehe und drehe, aber jedesmal verwähle ich mich in den Zwanzigern. Von hinten tritt Oskar Ulmenthal an mich heran. Auf dem Planeten, von dem er stammt, gibt es ein Problem mit der großen Traummaschine. Weil die Träume nicht mehr gut sind, sind die Eier der Außerirdischen zu weich. Ich entdecke, dass es nicht an der Traummaschine liegt, sondern an einem Enzym, das ihnen wegen Mangelernährung fehlt. Zur Belohnung gibt Oskar Ulmenthal mir ein Handy, mit dem ich Greta erreichen kann. Die Tasten sind mit Hieroglyphen gekennzeichnet, die ich nicht verstehe. Ich drücke nach dem Zufallsprinzip, bis ich endlich bei der malaiischen Telefonauskunft bin. Meine Mutter fragt, ob ich eigentlich wisse, wie spät es ist und sagt dann: „Bei dem Wetter ins Solarium, also von mir hast du das nicht.“
sehr deutlich eine der besseren episoden (und zwar nich wegen der überraschenden verwechslungsnummer!)
Hm der letzte Absatz tut im Kopf weh – ganz ähnlich als hätte man selbigen Traum selbst erlebt … sonst ganz nett….
Geschichten übers Koterbrechen bei der Mousse au Chocolat … das könnte ich sein.
Hatte vorhin mein erstes Date mit Paul Klinghofer, na gut, mit seinem Tagebuch – von mir aus wirds nicht das letzte gewesen sein. Dieser qixotische Erzähler, die Pointen seiner Beobachtungsgabe, seine schonungslos skurrilen Analysen und grandios fatalistisches Momentum: “Ich wanke voran.” Weiterwanken, bitte!!
ach malte, malte …