Warum ist die Zeitung so dünn?

Die SZ ist zur Zeit recht dünn. Auch andere Zeitungen sind von der Schwindsucht betroffen. Auf den Titelseiten befindet sich jeweils ein kleiner Kasten, der erklärt, dass die Redaktionen streiken. Warum sie streiken, erfährt man nicht. Hier ist eine Erklärung der Redaktionen einiger Zeitungen aus Ostwestfalen, die anders als über Blogs (und einige wenige Online-Medien) die Öffentlichkeit nicht erreichen.

Redakteure im Streik – für
Ihre gute Zeitung!

Verleger wollen Gehälter um bis zu 30% kürzen

Liebe Leserinnen und Leser der Tageszeitungen in Ostwestfalen-Lippe,

Ihre Zeitung ist zuletzt häufig dünner oder nicht so aktuell gewesen wie gewohnt. Wir Redakteure des Haller Kreisblatts, der Lippischen Landes-Zeitung, des Mindener Tageblatts, der Neuen Westfälischen, der Glocke und des Westfalen-Blatts haben diese Ausgaben bestreikt.

Das müssen wir tun, denn die Verleger fordern in den laufenden Tarifverhandlungen, die Gehälter für Berufseinsteiger um bis zu 30% zu senken. Sie sollen:

weniger verdienen

länger arbeiten

weniger Urlaub haben

kein Urlaubsgeld und weniger Zuschüsse zur Altersvorsorge bekommen.

Heutige Redakteure sollen bei Verlagswechseln und Outsourcing (Ausgründungen von Firmen aus bestehenden Verlagen) zu den gleichen schlechten Bedingungen arbeiten wie Berufseinsteiger. Außerdem wollen ihnen die Verleger das Urlaubsgeld streichen.

Das glauben Sie alles nicht? Es hat ja nicht in der Zeitung gestanden? Natürlich nicht! Unsere Verleger bestimmen den Inhalt der Zeitung und haben kein Interesse daran, Sie wahrheitsgemäß über den Arbeitskampf zu informieren. Stattdessen verzerren sie die Wahrheit, wenn sie bei einer Gehaltsreduzierung von 30% nur von Abstrichen sprechen. Auch den Druckern drohen vergleichbare drastische Einbußen.
Kein gut qualifizierter Akademiker wird künftig mehr Redakteur/-in werden wollen.
Schlechter ausgebildete und schlecht bezahlte Journalisten werden schlechtere Artikel schreiben. Die für unsere Demokratie wichtige Kontrollfunktion der Presse wird ausgehöhlt.
Politik und Verwaltung brauchen diese Kontrolle aber dringend, wie Sie immer wieder in Ihren Zeitungen lesen können.

Weitere Infos zum Streik finden Sie im Internet auf den Gewerkschaftsseiten:

(www.dju.verdi.de/tarife oder www.djv-tarife.de)

Wir bitten um Ihr Verständnis und hoffen auf Ihre Solidarität.

Die streikenden Redakteure der Tageszeitungen in Ostwestfalen-Lippe”

Anlässlich des Streiks ist mir ein alter Artikel eingefallen, den ich 2008 bei Spreeblick (ironischerweise) veröffentlicht habe. In dem Artikel geht es noch um die Netzeitung, die heute ihr Dasein als automatisierter Klickstreckenzombie fristet. Die Älteren werden sich vielleicht erinnern.
Ansonsten ist der Artikel leider recht aktuell.

Hier nun also der Text von 2008:

Manchmal kommt es vor, dass die Ironie der Ereignisse es übertreibt.
Am 3. Juli erschien in der Netzeitung ein sehr versöhnlicher Artikel über den Konflikt zwischen Print und Online und wie er sich dahingehend auflösen lassen könne, dass beiden Parteien an gutem Journalismus gelegen ist.
„Was sich nicht ändern wird, ist, dass guter Journalismus von Neugier getrieben ist, von der Suche nach der treffendsten Formulierung, dem besten Bild, der Perspektive, die so noch niemand eingenommen hat. Guter Journalismus will überraschen und die Gesellschaft voranbringen, will unterhalten ohne zu diffamieren und angreifen ohne zu denunzieren.“
Autor war ich.

Am 11. Juli (2008) bekam ich eine Mail, in der ich darüber informiert wurde, dass ich aufgrund von Etatkürzungen bei der Netzeitung nicht weiter mit Aufträgen rechnen könne.
Mit mir waren sämtliche anderen freien Autoren plötzlich freier als sie es sich gewünscht hätten.
Die Zusammenarbeit mit der Netzeitung war sehr angenehm, völlig reibungslos und den Umständen entsprechend gut bezahlt. Den Umständen entsprechend heißt: für ein Online-Medium.
Auch die andere Seite war mit der Zusammenarbeit durchaus zufrieden. Die andere Seite heißt: Die Redaktion.
Mein Nebenverdienst wurde mir von einem Buchhalter in London gekappt. Vielleicht auch einer Buchhalterin, vermutlich jemandem, der einen ziemlich langen Weg ins Büro hat, jedenfalls jedoch von jemandem, der nicht etwa unzufrieden mit meiner Arbeit war – er war unzufrieden mit den Zahlen.
Der Börsenkurs von Mecom, der Mediengruppe, zu der der Berliner Verlag und mit ihm die Netzeitung gehört, hatte sich unerfreulich entwickelt und die Börse liebt Entlassungen. Eines der vielen Szenarien, die im Juni umgingen, sah vor, die Netzeitung in einen serviceorientierten dpa-Ticker zu verwandeln. Dafür hätte man alle Mitarbeiter bis auf die, die im Betriebsrat sitzen, entlassen. Man hätte in Kauf genommen, deutlich weniger Klicks zu generieren, durch die Senkung der Fixkosten, so rechnete man, könne man jedoch trotzdem rentabel sein.
So ist es zum Glück für die festangestellten Redakteure nicht gekommen. Nun wird an einen gemeinsamen News-Room der Publikationen des Berliner Verlages gedacht, es wird errechnet, was sich lohnen könnte und herauskommen wird ein zweites Zoomer in bunt und weniger textlastig.

Der Aufschrei in den deutschen Leitmedien fiel äußerst verhalten aus. Was geschrieben und gedruckt wurde: Loblieder auf Papier.
Angriff der Lohnkrieger

“Von der Pressefreiheit hängt praktisch jede andere Freiheit ab.”

Salvador de Madariaga y Rojo

Wenn man einen wahren Satz noch wahrer erscheinen lassen möchte, dann macht man das so. Einfach einen Spanier hervorzaubern, der ihn einmal ausgesprochen hat. Salvador de Madariaga y Roja, Botschafter der zweiten spanischen Republik, geflohen vor Franco, Schriftsteller. Nie von ihm gehört und wenn man ihn braucht ist er da. Das ist das Glück des Journalisten.

Die Würde des Journalisten ist recht belastbar. Er könnte sich in einer Situation wie dieser, in der die Börse den Journalismus bedroht, mit seinen Online-Kollegen solidarisieren, er könnte seinem Verleger auf die Finger klopfen, weil der ihm Prominews und Klickstrecken, sexy Überschriften und Servicebeilagen aufdrückt, aber er zieht es vor, seinen eiligen Zorn gegen die zu richten, die mit der Lage des Journalismus in Deutschland soviel zu tun haben wie meine neue Hausherrin, die Katze Emily, mit dem Kaukasuskonflikt: Die Blogger sind Schuld.

Denn wegen der Filmblogs gibt es keine ernstzunehmende Filmkritik mehr, sagt Josef Schnelle.

Denn wegen der Huffington-Post ist das gedruckte Wort bedroht, sagt Josef Joffe.

Denn Online ist ja nur schnell, nie tief, sagt Heribert Prantl.

Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass die Antwort auf die Frage, was guten Journalismus ausmacht, lauten muss: Papier?

Nun sind Joffe und Prantl ja nicht irgendwelche dahergelaufenen Praktikanten (Schnelle mit Sicherheit auch nicht, da ich ihn nicht kenne, nehme ich ihn in diese Aufzählung nicht hinein) und es ist auch das Allermeiste von dem, was sie schreiben (hier nehme ich Schnelle wieder hinzu) durchaus richtig.

Der kluge Heribert Prantl sieht sogar sehr hellsichtig das Problem des Berliner Verlages:

“Seitdem bemüht sich das Mecom-Management samt seinen örtlichen Statthaltern, der Berliner Zeitung den Journalismus auszutreiben und aus der Zeitung eine Benutzeroberfläche zu machen – auf der immer weniger von dem platziert wird, was Geld kostet (nämlich gute Artikel), aber immer mehr von dem, was Geld bringt (nämlich Werbung und Product-Placement).”

Allein mit der Güte des Produkts lasse sich Exklusivität gewinnen, resümiert Prantl und fährt fort:

“Die Zeit der Zeitungen als Generalanzeiger ist vorbei; es beginnt ihre Zeit als Generalschlüssel. Daran muss jeden Tag gefeilt werden, und dafür braucht es Leute, die das können und denen die Leser diese Fertigkeit zutrauen, gute Redakteure eben. Es kann dies eine neue, große Zeit der Zeitungen werden – weil sie befreit sind, weil sie nicht mehr ihre natürlichen Schwächen mit sich herumschleppen.”

Ja, so ist es.

“Es gibt die «National-Zeitung» und es gibt «Politically Incorrect», die Seite-Eins-Mädchen der «Bild» sehen gedruckt genauso billig aus wie gepixelt, PerezHilton.com ist die «In-Touch», auf Speed zwar, aber wesensgleich, und die Qualitätskluft zwischen «Happy Weekend» und «Privatamateure.com» dürfte auch nur feigwarzengroß sein.”

Das ist wieder von mir. Erschienen in einem reinem Online-Medium. Was nicht erschien (denn die Netzeitung ist relativ statisch, was die Artikellänge angeht):

“Wie es Ballacks Wade geht, möchte ich nicht am nächsten Tag erfahren, die Tageszeitung ist verloren, wenn sie sich auf ein Wettrennen einlässt.
Dafür hat sie die Fähigkeit, mich für Aspekte des Lebens zu interessieren, von denen ich gar nicht wusste, das es sie gibt. Online-Medien funktionieren fantastisch, wenn ich weiß, was ich will. Dann stellen sie mir über die Verlinkungen eine grenzenlose Welt der Informationen zur Verfügung.
Aber die Tageszeitung kann mich durch einen gut geschriebenen Artikel dazu bringen, mir ein Album von Bob Dylan zu kaufen oder ein Buch über die 20 schönsten deutschsprachigen Opern.
Oder gar: sie mir auf Youtube anzuhören.”

Es ist dem aufmerksamen Leser möglicherweise nicht entgangen, dass ich hier genauso argumentiere, wie es Journalisten gemeinhin tun. Das liegt an meinen Lesegewohnheiten. Tag für Tag kaufe ich mir eine Zeitung und damit ein riesiges Bündel von Artikeln, von denen die Mehrheit Themen behandelt, in denen ich kein Experte bin, von denen ich vielmehr nicht die geringste Ahnung habe. Onlinemedien konsumiere ich anders. Aber meine Unlust, am Computer längere Artikel zu lesen, hat deutlich abgenommen mit dem Erwerb eines flackerfreien Bildschirms.

Ich bin demselben Irrtum erlegen wie Prantl – ich habe von meinem Medienkonsum auf das Medium geschlossen.

Der Unterschied zwischen Publikationsformen wird nicht bestimmt durch die Darreichungsform – sie wird bestimmt durch den Verleger.

Less Money, more Problems

Auch der Autor dieses Artikels lebt nicht von Liebe allein. Dem Leser ist es mit gutem Recht egal, ob ich nebenbei als Schlachter arbeite, Gläser spüle oder Banken überfalle. Wem es nicht egal sein sollte, ist der jeweilige Verleger.
Denn wer nachts Schweine erlegt, kann morgens keine guten Artikel schreiben.
Das muss den Verleger nicht interessieren, schließlich kann auch ein müder Autor nach dem Bankraub noch eine dpa-Meldung über eine prominente Vagina in eine Schoß-Klickstrecke verwandeln.

Aber ein Verleger – und jetzt werde ich altmodisch – der daran interessiert ist, etwas mehr zu erreichen als einen hübschen Börsenkurs, der muss eben auch seine Mitarbeiter versorgen.
Und nicht nur das: Was die zur Arbeit nötigen finanziellen Ressourcen angeht, da muss er sie sogar so gut versorgen, dass es an Überversorgung grenzt.
Der wahrscheinlich meistbesprochene Aufsatz der vergangenen Monate erschien im Atlantic Monthly, Autor war Nicholas Carr. Es ging um die Frage, ob Google uns verdummen lässt. Diesen Artikel hat mir eine Freundin im Juni zugemailt mit den Worten:

“Dieser Artikel beschreibt meine Krankheit! Endlich fasst das jemand mal in Worte! Es ist doch kein Hirntumor! Ich muss nur dem Internet abschwören und schon wird es mir besser gehen.”

Kaum zwei Monate hat der Spiegel benötigt, um den Artikel zu klauen.
Aber darauf wollte ich gar nicht hinaus. The Atlantic Monthly ist bekannt für das Pampern seiner Autoren. Auch dort musste gespart werden, man konnte jedoch durch einen Umzug der Redaktion Entlassungen verhindern.
Ein Artikel wie der von Carr ist nichts, was man einfach so hinrotzt, der geschieht nicht nebenbei im Tagesgeschäft.

Damit sich Carr diesem Artikel widmen konnte, musste sein Verlag ihn mit Geld ausstatten. Für dieses Geld bekam der Verlag Qualität und mit dieser Qualität verdient er wiederum soviel Geld, dass es weitergehen kann mit der Qualität.
Klingt banal, hat sich aber noch nicht herumgesprochen. In Deutschland zahlt angeblich der Springer-Verlag besonders gut.
Was mir jetzt meine schöne Argumentation kaputt macht. Ich gehe davon aus, dass das Geld, das Springer seinen Journalisten überweist, eine Art Schmerzensgeld ist, für das keine weitere journalistische Arbeit erwartet wird.

Wenn Journalismus also Geld braucht, aber nur Springer Geld zu zahlen bereit ist und andere Verleger auf die Rendite starren, die naturgemäß im Journalismus nicht so hoch ist wie in der Waffenindustrie, was bleibt dann also für den Journalismus?

Die eine Möglichkeit ist das Online-Kollektiv. So kann man in kleinen Einheiten, also mit wenigen Leuten und ohne die finanziellen Risiken, die durch Druck- und Vertriebskosten entstehen, qualitativ hochwertigen Meinungsjournalismus betreiben, wenn die Werbeindustrie mitspielt. Dass auf diese Weise jedoch ein Korrespondentennetz finanziert werden kann, ist momentan noch utopisch.

Es braucht also Verleger alten Schlags, denen die Qualität ihrer Publikation wichtiger ist als Gewinnmargen.
Es braucht Solidarität der Schreibenden, nicht Spott darüber, was Online-Medien pro Zeile zahlen.
Vielleicht braucht es sogar gesetzlichen Schutz vor Spekulanten.
Denn schließlich ist die freie Presse nicht etwas, um das man an den Börsen pokern sollte.
Frei von sprachlicher Schönheit, frei von Hintergrundinformationen, frei von allem, was nicht Promineuigkeit ist: So pressefrei möchte doch niemand sein.

7 comments

  1. Als zukünftiger (hauptberuflicher) Journalist interessiert mich, was du hier schreibst. Als (noch) Ostwestfale habe ich auch den Brief der Redakteure gelesen und bekomme seit Wochen die hin und wieder dünnere Tageszeitung hier…

    Aber, wieso kommt in deinem Text und in deinen Ideen für die Zukunft nicht das Modell einer durch eine Stiftung getragenen Zeitung vor, in der sich 5 Herausgeber als Vollblutjournalisten verstehen die über sich keinen Verleger haben, der sie mit seiner wirtschaftlichen Rationalität belässtigt? Eine Zeitung, die nicht dazu da ist Geld zu verdienen, sondern täglich eine gute Zeitung zu machen. Ein Modell, wie es die FAZ seit mehr als 60 Jahren praktiziert.

  2. Auf die Frage, wieso das Modell nicht vorkommt, kann ich nur sagen: Da habe ich wohl nicht alle Möglichkeiten durchgespielt.

  3. Matthias Schumacher

    Der Stiftungsgedanke ist ja nun in Deutschland nicht gerade weit verbreitet und so richtig mögen ihn viele auch nicht. Könnte ja was Elitäres oder gar Geld dahinter stecken.

  4. Passt doch gut ins Bild. Bestandsgarantie für “Qualitätsmedien”, Klagen gegen die Tagesschau-App und Kürzungen beim Personal (damit die Qualität steigt?). So sterben Riesen.

  5. westernworld

    gerade die neue westfälische und das westfalenblatt sind hervorragende beispiele für blätter deren ersatzloses verschwinden kein schade wäre. die waren schon vor 20 jahren genauso scheiße wie heute. da spreche ich aus erfahrung als langjähriger bewohner von stadt wo nicht gibt.

    so steht es mit nahezu der gesamten deutschen presselandschaft abgsehen von der handvoll überregionaler tageszeitungen die aber auch zu den zeiten als ihnen das geld zu den ohren raus kam nicht gerade mit dem ruhm des kritischen, anspruchsvollen oder investigativen qualitätsjournalismus im übermaß bekleckert haben. zeit und faz sind erst durch die digitale not wieder halbwegs zum leben erwacht.

    ich weiß nicht was die antwort auf den zusammenbruch des traditionellen zeitungsverlagsgeschäftsmodelles ist aber verleger alten schlages sind es nicht denn verlage alten schlages haben keine wirtschaftliche grundlage mehr und selbst als sie die noch hatten war die sogenannte vierte gewalt meist mehr büttel als kontroleur.

  6. Sylvia Häusler

    Malte – Danke für Deinen wachen Geist! Du bürstest die Meinungen quer und stöberst dabei allerlei Flöhe auf… Das macht es mir leichter, was dazuzulernen und nicht dabei einzuschlafen, weil Du lebendig bist und schreibst und denkst. Danke! Weiter so! Und wenn so Leute wie Du online denken, dann bin ich zuversichtlich, dass wir nicht ver-google-blöden ;-)

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