Die Aufhörer

Vor etwa fünf Monaten habe ich mit dem Rauchen aufgehört. Ich lag im Bett mit schwerem Schnupfen und ebenso schweren Gliedern, ich konnte sowieso nicht rauchen, also ergriff ich die Gelegenheit: Ich ließ es einfach bleiben.Ich hörte nicht so sehr auf wegen Lungenkrebs. Ob ich mit 75 an Krebs sterbe oder ein paar Jahre später an Alzheimer, das treibt mich nicht um, beides hat seine unschönen Seiten. Ich hörte auf, weil ich nicht mehr schmeckte, was ich aß. Und man kann ja nun sein Leben nicht in den Dienst der Lebensfreude stellen, wenn man nicht in der Lage ist, Mousse au Chocolat von Hackepeter zu unterscheiden.

Was den Schwierigkeitsgrad des Aufhörens angeht, gilt der Nikotinentzug als der Gewaltmarsch unter den Entzügen. Auf dieser Entzugsskala ist das Aufhören mit dem Nägelkauen ein Spaziergang an einem lauen Sommerabend, das Aufhören mit dem Heroin ein 5000 Meter-Lauf, das Aufhören mit einem Partner, der Tricks im Bett kann, liegt knapp darüber. Aber außer dem Alkoholentzug, bei dem man sterben kann (Der Körper kann durch das Aufhören so in Panik geraten, dass das Herz sich aus Selbstschutz geradezu in die Luft sprengt), ist der Nikotinentzug also die Königsdisziplin des Aufhörens. Was zur Folge hat, dass man sich, wenn es mit dem Aufhören gut läuft, fühlt wie Leonardo diCaprio am Bug der „Titanic“.

Die ersten zwei Wochen lang hatte ich Magenschmerzen. Statt wie Leonardo diCaprio fühlte ich mich wie Ottmar Hitzfeld. Ich war reizbar, launisch und sexuell unentschlossen, ich bekam die Haut eines Pubertierenden und hustete, ich hustete, als hätte ich angefangen mit dem Rauchen. Recherchen bei Google ergaben, dass die Flimmerhärchen, die die Lunge reinigen, durch die Zigaretten abgebrannt worden waren und erst jetzt wieder ihre Arbeit aufnehmen konnten. Ich rotzte also die Ergebnisse von sechzehn Jahren Rauchen Morgen für Morgen in das Waschbecken und fühlte mich nun nicht mehr wie Ottmar Hitzfeld, es ging mir eher wie Saddam Hussein in dem Moment, als der amerikanische Militärarzt seinen Rachen untersuchte.

Überdosis Kekse mit Schokoladenüberzug

Die Erinnerung an Zigaretten fühlte sich an wie eine verlorene Liebe. Ein Stich, eine nicht vergossene Träne, mein innerer Zustand war Rosamunde Pilcher im Endstadium, mir war nach Weinen zumute und nach einer Überdosis Keksen mit Schokoladenüberzug. Doch ich hielt durch. Und mit den Wochen setzte ein Wandel ein, wie ich ihn nicht für möglich gehalten hätte. Zuerst merkte ich, dass ich keine Kopfschmerzen mehr hatte. Ich merkte sogar jetzt erst, wie oft und wie heftig ich vorher Kopfschmerzen gehabt hatte. Die Schmerzen waren zu meinem normalen Kopfgefühl geworden. Und ich schlief besser ein, so gut schlief ich ein, dass ich zum ersten Mal seit meinem zehnten Lebensjahr vor Mitternacht einschlief, ich ruhte auf einmal acht statt fünf Stunden, ich war so frisch und lebendig wie eine Punica-Werbung. Das letzte Mal, als mein Körper solche Veränderungen durchmachte, sind mir Schamhaare gewachsen.

Das Aufhören ist das Schöpfen des kleinen Mannes, dachte ich. Wer wie ich nichts Neues schaffen kann, der erzwingt Wandel eben einfach durch Verzicht. Sollte sich das, was immer meine größte Schwäche gewesen war, als meine größte Stärke erweisen? So lange ich mich erinnern kann, war ich ein Quitter, ein Hinschmeißer: kein Durchhaltevermögen, nur bedingt abwehrbereit. Musikalische Früherziehung: frühzeitig abgebrochen. Blockflötenunterricht: geschmissen. Klavierunterricht: nie über Muzio Clementi hinausgekommen. Um nicht beim Schwimmunterricht in der Schule mitmachen zu müssen, bin ich zum Amtsarzt gegangen mit der Behauptung, eine Chlorallergie zu haben.

Der Amtsarzt wusste genau, was für ein Exemplar er da vor sich hatte, brummte aber bloß: „Aber wähl bitte nicht in der Oberstufe Schwimmen.“ Ich habe es sogar geschafft, mit Mathematik aufzuhören, obwohl der Kurs verpflichtend war, es war in diesem Fall allerdings nur eine innere Kündigung. Dass ich mit dem Jurastudium aufgehört habe, hat schließlich ermöglicht, dass ich Autor geworden bin. Aufhören kann ich richtig gut. Und es hat mir viel Freude gemacht. Gut, ich kann auf Abendveranstaltungen nicht lässig zum Klavier schlendern und Chopin spielen, aber das, was ich an Überredungskunst bei meinen Eltern aufwenden musste, um mit all dem aufhören zu können, war genug Training, um Chopin kompensieren zu können.

Zum ersten Mal seit der Zeit, als im Fernsehen noch „Die Pyramide“ lief, war ich eins mit dem Zeitgeist. Ich hatte Verzicht geübt und wurde reich belohnt. Um noch mehr eins zu werden, fuhr ich mit meiner Freundin an die Ostsee. Natürlich in ein Biohotel mit Sternen, so eine Art Manufaktumkatalog unter den Hotels. Tagsüber fuhren wir Rad, abends brachte uns der Kellner Grüße aus der Küche und erzählte, sein Heilpraktiker habe ihm gegen sein Burnout-Syndrom empfohlen, seine Wut in die Wellen zu schreien. Der Kellner war natürlich eigentlich Sommelier und aß manchmal Sand, um seine Geschmacksnerven zu trainieren, und ich hatte eine neugewonnene Lebenserwartung von etwa 90 Jahren. Ich war eine Prenzlbergmutti, hätte irgendwo Laub gelegen, ich wäre mit meinen Füßen durchgefahren und hätte es fliegen lassen.

Alle so gesund hier

Dann las ich in einem nachhaltigen Strandkorb das neue Buch von Michel Houellebecq. Der schreibt vom „theatralischen Ton, den die Ober in den mit einem Stern ausgezeichneten Restaurants annehmen, um die Zusammensetzung der „Amuse-Bouche“ und sonstiger „Grüße aus der Küche“ anzukündigen“, was die Hauptfigur an „sozialistische Priester“ erinnert, die eine „andächtige Messe“ wünschen. Es sei das „epikureische, friedliche, gepflegte Glück (…), das die westliche Gesellschaft den Angehörigen der Mittelschicht gegen Mitte ihres Lebens bietet“. Houellebecq, der Hund! Ich blätterte hektisch weiter – tatsächlich: Sex spielte keine Rolle mehr im neuen Houellebecq.

Ich schaute mich um: Alle so gesund hier, alle rotbäckig, gut verdienend, sie würden alle noch mindestens 60 Jahre leben, aber es würde sich anfühlen wie 600 Jahre. Maß halten! Ich war in der Hölle, betrieben mit Solarenergie. Alle hier hatten mit allem aufgehört, mit dem Rauchen, mit der Völlerei, mit dem Ehebruch, mit der lauten Musik, etwas Fleisch noch, ok, aber morgen nur Soja, Wein bloß ein Schluck. Und in der Nacht würden wir alle am Meer stehen und in die Wellen unsere Wut hineinschreien.

Das gute Brot, die gute Luft, das schöne Radfahren und unsere Rockstars sind „Wir sind Helden“. Der nächste Schritt ist unweigerlich die Askese. Auf Wiedersehen „The Bird“, wo ich den besten Burger der Stadt esse, das Rindfleisch so roh, dass die Hufe noch dranhängen, auf Wiedersehen Kater, der mich früher daran erinnerte, dass ich in der Nacht zuvor etwas richtig gemacht hatte, auf Wiedersehen Übertreibung, Ausschweifung. Nur noch eine ferne Erinnerung der heilende Moment, in dem man sich selber nicht mehr im Spiegel sehen kann. Jetzt sind alle im Reinen mit sich, das kann nicht gut gehen.

Wohin es führen kann, wenn eine Gesellschaft mit allem aufhört, was sie rücksichtslos, fordernd, laut und unappetitlich sein lässt, kann man bei den alten Römern studieren. Die hörten auf mit ihren Orgien, mit ihrer Sklavenhalterei, mit ihren Straßenstrichen und ihren Bordellen, in denen man sich vom Blutrausch der Arena erholen konnte, sie hörten auf, die größten Arschlöcher der damals bekannten Welt zu sein – und wurden Christen. Eine neue Welt erblühte, eine Welt der Nächstenliebe und Barmherzigkeit, eine Welt der guten Werke, in der man den Armen die Füße wusch und in der Sklaven Päpste wurden, eine Welt, in der man ganz nah bei Gott war. Und weit davon entfernt, fließend Wasser zu haben.

Gutmenschen, Schlechtmenschen

Ja, seltsamerweise ging mit dem ganzen Schindluder, den die alten Römer getrieben hatten, auch die komplette Zivilisation den Bach runter. Die christlichen Glaubenskrieger waren zwar gut in Fundamentalismus, aber schlecht in Straßenbau, Architektur, Kunst, Schifffahrt, Hygiene, Geburtenkontrolle (na: da erst recht), sie konnten nicht dichten, nicht denken und eine Ars Amandi hat auch keiner von ihnen geschrieben. Sie hatten aufgehört. Mit allem. Die Christen waren im Grunde das, was man heute den Grünen vorwirft. Gutmenschen, die einen Tugendstaat errichteten, in dem insgesamt weniger los war als in Wuppertals Fußgängerzone an einem Mittwochabend um 21 Uhr. Nun lässt sich mit lauter Schlechtmenschen jedoch kein Staat machen und Gladiatorenspiele machen auch bloß Spaß, wenn die handelnden Akteure keine Familienmitglieder sind.

Weiter in der Berliner Zeitung

23 comments

  1. Großartiger Artikel. Vielen Dank dafür. Macht Lust auf ein weiteres Buch. Einfach eine sehr angenehme Art und Weise zu schreiben. Schön!

  2. Es gibt ja die Momente im Leben eines Nichtrauchers, in denen man gern eine Zigarette rauchte. So weit, dass man anfinge, nur um aufhören zu können, geht es allerdings nicht. (Obwohl ich manchmal auch gern in die SPD einträte, nur um austreten zu können.)

    Wenngleich ich nie militanter Aufhörer war, die ja die Schlimmsten sein sollen, war ich irgendwie immer dagegen. Im Alter bin ich etwas milder geworden.

    Halte durch! Nicht, dass Du am Ende noch aus dem Ausstieg wieder aussteigst, weil das ja so schön ist. (Hat ja bei der Atomkraft auch nicht geklappt.)

  3. Ganz schön lang, der Text, aber auch ganz schön gut geschrieben. :)

  4. Hach ja… haaach ja…
    Sowas aber auch. Angenommen ich bin ein Feigling. Angenommen ich will mich später dann doch wieder irgendwie rauswinden können, wenn sich herausstellt, dass ich mich geirrt habe. Oder einfach auch nur, dass sich alle anderen irren und ich doof da stehe, wenn alle merken, dass ich mich nicht mit ihnen irren will. Angenommen, mein ganzes Denken dreht sich am Ende immer nur um die Frage, dass meine Begeisterung heute sich als großer Fehler herausstellen wird. Dass der ganze Rausch ein ganz dicker Schädel wird.
    Ja dann denke ich mir was aus, dass mir davon distanziert, was ich gerade irgendwie toll finde. Dann stelle ich Begeisterung und Freude in einen Kontext zum Fanatismus und die Erfahrung von Erleuchtung rücke ich die Nähe von missionarischem Eifer und wittere die Dummheit in allen Ecken. Nur was da so komisch riecht, das ist nicht die Dummheit der Anderen. Und schon wieder in die eigene Falle gelatscht.

    Oder was?

  5. Matthias Schumacher

    Moooooooment. Du bist jetzt 36, 37? Sagen wir 35. Vor 16 Jahren hast Du angefangen? Warum fängt man so spät noch an? 1995? Bloß weil “Verbotene Liebe” an den Start ging?

  6. @Matthias
    Ich war ungewöhnlich spät zum ersten Mal betrunken. Da gab es dann einen Zusammenhang.

  7. Henning Bender

    Entweder verstehe ich den Text nicht, oder ich verstehe ihn und er ist mir zu uneindeutig.

  8. Pollen für drohnenlose Larven e.V. ^^

  9. zu lang und zu verquast….. sry ;)

  10. Ein Granaten Text. Bringts auf den Punkt. Schöne Gesellschaftskritik, ich bin sehr an Fight Club erinnert. Dem ganzen Perfekten mal wieder ein wenig Chaos einhauchen. Sahne

  11. Mir gefällt der Text prima, spiegelt er doch recht genau auch meine inneren Zwiegespräche wider.

    Der moralische Zeitgeist treibt (komme ich jetzt in die Hölle, weil ich heute meine Weinflaschen mit dem Hausmüll — Ausnahmsweise!!! — entsorgte??) und en vogue scheinen aktuell tatsächlich die Gebote und Verbote. Mein Eindruck ist auch, dass speziell die Fitness- und Ernährungspäpste in offene Konkurrenz zu den “better the devil you know” Religiösen getreten sind. Ja, plausibel! Weshalb soll man diesen Religiösen das lukrative Feld der Gebots- und Verbotsagenda alleine überlassen. Deren Masche ist doch mittlerweile leicht nachzuahmen.

    Im übrigen: Die moralischen Bedenkenträger haben wirklich Recht, jedoch erscheint mir die Welt so komplex zu sein, dass deren scheinbare moralische Lufthoheit mittels Fleischverzicht oder Rauchverzicht oder sonstwas eine Illusion bleibt. Die Evolution arbeitet langsam, sehr langsam, aber sie arbeitet. Grosse, heftige Veränderungen gefährden stets ein stabiles System und fordern Gegenreaktionen heraus.

    Somit mein credo: jede Tag eine kleine gute Tat, wie gestern zum Beispiel, als ich auf das dritte Bier verzichtete … einfach so, war gar nicht schwer. Und evolutionär kann sich dies auf viele Jahrhunderte gesehen Richung Null begeben, aber dann wird es mich ja zum Glück nicht mehr geben.

  12. Henning Bender

    Die moralischen Bedenkenträger haben wirklich Recht, _aber…_?
    Was soll das denn für eine Ausrede sein? Entweder du erkennst, dass Tiere unter widerlichen Bedingungen gehalten und dann getötet werden, als moralisch unzulässig an und verzichtest auf Fleisch, oder du findest das in Ordnung. Alles andere ist Kapitulation oder Verdrängung oder Ausrede oder alle drei.
    Das wäre ja als würde man sagen “Meine Partei hat eh keine Chance, da kann ich auch gleich eine etablierte wählen”.

  13. Henning Bender

    (Und was hat das mit Evolution zu tun)

  14. Oh, Herr Bender, nicht jeder scheint den moralischen einwandfreien Lebenswandel so derart in seine Realität einbauen zu können, wie Sie es tun. Haben Sie Erbarmen mit dem schwachen Fleisch und lassen das scharfe Schwert nicht als Richter walten … ! Fundamentalismus (“entweder-oder “…. mehr gibt es nicht!” ist so, weil ich H. Bender es so definiere!!!) Ihrer Schattierung ist auch so eine Parallelerscheinung zu (speziell) monotheistischen Religionen, mir sehr zuwider.

    (konkret: das menschliche Hirn machte seinen “great leap” vor 1,7 Mio. Jahren als der homo erectus aus dem Urwald in die Savanne trat und dort massenhaft Proteine via Fleisch zu sich nahm. Es enstand der homo sapiens vor 500.000 Jahren – somit: Ich lehne Tierquälerei aus moralischen Gründen ab wie Sie, jedoch ist mein “Verlangen” nach Fleisch eben nicht von irgendwoher gekommen. Da die Brücke zu schlagen ist die Kunst und eine kategorische “entweder-oder” Argumentation führt eben nur zu den von mir weiter oben angesprochenen Gegen- bzw. Abwehrreaktionen. differenzieren ….!!!)

    Tante Edit sagt:
    Die Evolution hat immer ein mehr als gewichtiges Wörtchen mitzureden. Sie als homo sapiens (der moderne, der weise Mensch) existieren nur, weil es die Evolution gibt. Sie hatten Glück, Sie existieren; die meisten hatten kein Glück, sie existieren nicht. Carpe Diem!

  15. Henning Bender

    Entschuldige, wenn ich mich nicht auch auf das sarkastische, verschwurbelte Niveau
    deiner Bullshit-Bingo-Rhetorik begebe, aber was du dir da aus dem Arsch
    ziehst ist – speziell was die Evolution betrifft – gewaltiger Unsinn.

    Ich weiß auch nicht, in welche Richtung ich hier argumentieren soll,
    denn offensichtlich hast du ja verstanden, worum es geht und “lehnst
    Tierquälerei aus moralischen Gründen ab”, willst aber nicht auf die
    damit verbundenen Vorteile verzichten. Möglicherweise (schwingt in dem
    Evolutionsgerede imho irgendwo mit) vertrittst du auch die verbreitete
    Ansicht, Fleisch zu essen sei doch total natürlich, weil es ja auch
    Raubtiere gibt und so weiter. Da kann ich auch nichts gegen sagen,
    außer, dass ich mich als Mensch für cooler als instinktgesteuerte und
    - wo wir dabei sind – evolutionsbedingt hochspezialisierte Tiere, die
    einfach keine Alternativen haben.

    Für mich ist das ganz einfach: ich habe gewisse Emotionen (wegen der
    Evolution und so), die sicher nützlich sind oder mal waren, aber sich
    einfach scheiße anfühlen. Angst, Schmerz, Panik, von mir aus Trauer,
    etc.. Die haben auch Viecher (aus dem gleichen evolutionären Grund) und
    deshalb sehe ich zu, sie ihnen zu ersparen. Aus Empathie (auch
    evolutionär voll sinnvoll und so). Und mir entsteht dadurch nicht
    einmal ein Nachteil.

    Jetzt kannst du natürlich hergehen, und jegliche Form von
    “Nächstenliebe” und moralischen Prinzipien als monotheistische
    Überbleibsel zu verteufeln, aber ich gebe dir mal, so von Atheist zu
    Atheist einen Protipp: viele Religiöse Ver- und Gebote kommen nicht von
    ungefähr. Da spielen immer grundlegende Auffassungen von Recht und
    Unrecht mit rein, die man auch gut davon entkoppelt gebrauchen kann und
    die die Grundpfeiler von Zivilisation und Zusammenarbeit sind, ohne die
    der Mensch nicht könnte.

  16. Nun H. Bender, ich stehe vor ähnlichen Problemen wie Sie! Ich weiß auch nicht recht was ich auf ihren Beitrag erwidern sollte, denn dieser enthält Null-Komma-Null Argumente (was konkret ist “Unsinn”???) minus ein paar infantil erregte Zeilen hier und dort. Die wenigen Brosamen (“ich bin cooler .. als Tiere” – “ein paar sinnvolle Gebote/Verbote der Religionen”) sind unlogisch aufgebaut: als Atheist bin ich nicht “cooler als Tiere”, denn ich bin ein Tier (der dritte Schimpanse eben, neben Menschenaffe und Bonobo!), religiöse Gebote/Verbote handpicked selektiv by H. Bender je nach Gutdünken – come on! Schweinefleisch im Islam?! – aus wirtschaftlichen Gründen eingesetzt. “Nächstenliebe” ist ein altruistisches Handeln überhaupt nirgends begrenzt auf menschliches Handeln, im Tierreich sehr verbreitet.

    Was wollen Sie mir mitteilen?! Sie sind ein moralisch besserer Mensch als ich, weil Sie kein Fleisch essen?

    Tante Edit fragt:
    Sagen Sie mal, warum haben Menschen Heißhunger auf Fleisch, Heißhunger auf Süsses? Aber kein Mensch, den ich bisher traf hat Heißhunger auf Brokkoli! Proteine und Zucker sind extrem wichtig und waren schwer zu bekommen …. damals … Sie wissen schon wann. Dies soll nicht heißen, dass dies HEUTE voruteilsfrei für den HEUTIGEN Zustand jederzeit gutzuheißen ist. Wir haben die kognitive Fähigkeit dies zu überblicken, aber seien Sie mal verständnisvoller mit Mitmenschen, die in ihrem Körper einfach noch alte, aber hochaktive Gene laufen haben. Akzeptieren Sie, dass mir es körperlich nicht gut geht, wenn ich über einen mittellangen Zeitraum kein Fleisch esse.

    Oma Edite: In Ihrem potentiellen Antwortbeitrag ein paar konkrete Argumente und weniger hohen Blutdruck-geschwängerte Zeilen svp… ansonsten erspare ich mir weitere Kommentare und trinke lieber mein selbstgebrautes Bier und esse knusprig gegrillte chicken-wings … ausm Bioladen — logo!

  17. Henning Bender

    Oh boy. Es ist mir jetzt zu anstrengend, auf jede deiner Zeilen einzeln zu antworten, deshalb schlage ich vor, du liest einfach nochmal meinen Beitrag und lässt dich nicht von meiner gewählten Ausdrucksweise verunsichern.

  18. So sehr mit der Stirn gerunzelt habe ich mich nicht mehr, seitdem ich einen Text von Herrn Pfaller selbst gelesen habe. Minus (gelungener) Ausschmückung drumherum ist die Aussage auch hier:

    (1) Irgendjemand findet X doof,
    (2) ich mag aber X,
    (3) Und jetzt? Manno.

    Mehr bleibt leider nicht übrig, wenn man so verschiedene Themen wie Fleischverzicht, Pornographie, Ehebruch oder Forderungen der Grünen in einen Sack stecken und schriftlich drauf einschlagen möchte. Die jeweiligen “Aufhörer” sind grundverschieden, verteidigen an anderer Stelle vielleicht sogar eine andere Art des Genusses.

    Und wie sollen sich denn nun Vegetarier fühlen – oder irgendjemand, der bewusst irgendetwas bewusst tut oder sein lässt? “Dadurch ist man auch kein besserer Mensch” ist ein Totschlagargument, ebenso “dadurch rettet man die Welt nicht”. Und jetzt, Moral totschweigen? Wem schadet es, wenn sich jemand (unaufdringlich) gut für seine Taten fühlt? Genau: dem, der sich nicht im mit sich Klaren ist, daneben steht und schon wieder “Manno” denkt.

    Das wäre ja alles höchstens ein bisschen kindisch, aber leider ist genau diese Populisierung der Freiheit politisch aktuell brenzlig. Denn sie steht gefährlich nah am Rummosern an “Gutmenschen”, denen, die “eh immer alles verbieten wollen”. Und das in einem durch Deregulation(!) erschütterten Wirtschaftssystem, wo Leute um ein verhungerndes Afrika herum Börsen-Casino spielen oder uns mit Lebensmitteln voller verkapptem Müll versorgen — um sich ein /echtes/ Leben mit Crack und Nutten, verkatertem Aufstehen und Mousse au Chocolat zu ergaunern. Aber wie sollte sich auch Zivilisation entfalten, wenn wir immer nur alles verbieten würden?

  19. Es ist mehr als ein Menno, wenn man etwas nicht verboten bekommen möchte. Soweit ich das im Spiegel nachvollziehen kann, bin ich kein Kind, dennoch soll beispielsweise mein Internet reguliert werden, als sei ich eins.

    Was Sie sagen, ist eine Erweiterung des chistdemokratischen “Aber denkt denn keiner an die Kinder” auf ein “Aber denkt denn keiner an die Kinder in Afrika”. Der Glaube, Fleischverzicht hier würde Leben in Afrika retten, ist ein Glaube und sonst nichts.

    Genauer: Wenn ich hier kein Fleisch esse, stirbt zunächst einmal einfach nur ein Tier nicht, das nicht geboren worden wäre. Genau diesen Ethikgewinn kann ich für mich beanspruchen, wenn ich Vegetarier bin, nicht die Rettung Afrikas. Die Probleme dieses Kontinents sind dann doch ein winziges Stück komplizierter.

  20. Wenn dir “Ethikgewinn” nicht reicht, was willst du dann?

    Und das “Aber denkt denn keiner an die Kinder” von VdL et al. mit ehrlicher Empörung über schlechte Zustände, die nicht zuletzt eine Nebenwirkung unseres Wohlstands sind, ist einfach nur genau so ekelhaft wie der Spruch selbst.

    Klar muss man für Verbote rationale Gründe haben, aber man bräuchte diese Ratio gar nicht erst einzusetzen, könnte man Misstände nicht zunächst als solche erkennen, und das geht nur über Moral über Empathie.

    Anstatt aber die Ratio mancher Verbotsforderer anzugreifen, zweifelt dein Text (gewollt oder nicht sei mal dahingestellt) an den Emotionen, die sie anregen, und das spricht meiner Meinung nur verkorkst liberale Hedo-Egonisten an, die gerne öfter “Menno” sagen würden.

  21. Ich fordere kein zensiertes Internet und ich stelle auch keinen Zusammenhang zwischen Fleischverzicht und Afrika her. Genau das ist sogar mein Problem, dass der Artikel die “Aufhörer” vage als eine Gruppe, einen Trend oder eine Kultur darstellt, die es nicht gibt (wobei am meisten Dreck an den Grünen hängen bleibt). Die, die das Internet zensieren wollen, verteidigen die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen und die, die mit dem Fleisch aufhören, wollen dafür vielleicht Hasch legalisieren.

    Das Ungeschickte ist genau diese schwammige Dramatisierung “Freiheit /Selbstverantwortung gegen Bemutterung”, denn im großen Stil ist das genau das idealisierte Lebensgefühl der FDP und der Werbeschrei der Neocons. Damit wären wir beim kaputtspekulierten Afrika, das du natürlich /nicht/ gefordert hast. Aber das ist leider der absurde politische Kontext, in den ein sehr allgemeiner Kommentar über regelnde Gutmenschen und weniger Moralgetue in diesem Monat fällt. Zu weit hergeholt? Da bin ich zuversichtlich, aber warum dann unspezifisch beim Römischen Reich zum Rundumschlag ausholen?

    Zum nicht gegessenen Tier — dass es nicht gezüchtet und geschlachtet wird, ist die direkte Folge. Wenn aber genug Tiere nicht gegessen werden, muss man auch weniger Wälder roden um Futtermittel anzubauen, weniger Gülle entsorgen, weniger industriell an die Sache herangehen, um der großen Nachfrage entgegenzukommen… Das ist bei einem einzelnen “Aufhörer” (oder Reduzierer) natürlich Utopie, aber so ist das leider unter bald 7 Mrd Menschen. Genau wie bei der Wahl, die deswegen auch nicht egal ist.

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